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Desinformations-Governance ist komplex, einfache Lösungen riskant

Desinformations-Governance ist komplex, einfache Lösungen riskant

02.12.2021

Im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW hat das Leibniz-Institut für Medienforschung ein Rechtsgutachten über Risiken und Regulierungslücken im Zusammenhang mit Desinformation verfasst. Co-Autor Dr. Stephan Dreyer gibt einen Überblick über die aus seiner Sicht wichtigsten Punkte
 
Aktuelle Definitionen von Desinformation knüpfen zentral an Definitionen von „Unwahrheit der Äußerung“ und die „Täuschungsabsicht“ an. Beide Kriterien sind aus rechtlicher Sicht schwierig. Denn: Was ist wahr? Wer entscheidet das? Wie ist eine Absicht zur Täuschung erkenn- oder nachweisbar? In vielen Fällen enthalten Äußerungen nicht ausschließlich objektive Unwahrheiten, sondern wählen z.B. nur einen bestimmten Ausschnitt von Wahrheit (falsche Implikaturen) oder außerdem Elemente subjektiver Bewertungen, für die die Meinungsfreiheit streitet. 
 
Das Recht hält für die Ermittlung von Wahrheit Verfahren und Methoden parat (Gerichte, Prozessrecht etc.). Die sind aber konzipiert für den Einzelfall. Rechtsstaatliche Verfahren zur Feststellung von Wahrheit skalieren nicht. 
 
Das Gutachten fächert vor dem Hintergrund solcher Operationalisierungsprobleme eine Taxonomie weiterer bzw. alternativer Kriterien auf, an die eine rechtliche Bewertung anknüpfen kann.
 

 
Im Zentrum gesetzlicher Maßnahmen gegen Desinformation müssen die Gefährdungspotenziale von Äußerungen für individuelle Rechte und gesellschaftlichen Interessen stehen. Wo geschützte Rechte durch Äußerungen betroffen sind, öffnet sich für den Gesetzgeber grundsätzlich eine Eingriffsbefugnis.
  
Die Literaturauswertung zu Wirkungen von Desinformation zeigt, dass es Berührungspunkte zu einer Vielzahl betroffener Rechte und Gesellschaftsinteressen geben kann. Es liegen aber gleichzeitig nur wenige klare empirische Evidenzen im Hinblick auf Wirkungen von Desinformation vor; oft begegnet man eher (theoriegeleiteten oder gemutmaßten) Unterstellungen. In diesem Bereich braucht es daher mehr Forschung. 
 
Begriff Desinformation ausdifferenzieren
Die Analyse ergibt, dass Desinformation aus rechtlicher(!) Perspektive in erster Linie ein Sammelbegriff für ganz verschiedene Äußerungen ist, die sehr unterschiedliche Rechte zu sehr unterschiedlichen Graden berühren oder gar gefährden können. Rechtliche Steuerung von (desinformierenden) Äußerungen muss deutlich weiter ausdifferenzieren, als andere Disziplinen das bei der Definition derzeit tun. Die schlichte Übernahme bestehender Definitionen von „Desinformation“ in Rechtsvorschriften birgt große Risiken. 
 
Die Analyse des Rechtsrahmens ergibt für Deutschland, dass individuelle und gruppenbezogene Rechtsgüter grundsätzlich gegen Gefahren geschützt sind, die von Online-Kommunikation ausgehen. Dagegen fällt das Schutzniveau mit Blick auf gesellschaftliche Güter und Interessen deutlich ab. 
 
Wenn ich persönlich von Desinformation in meinen Rechten verletzt bin, kann ich etwas tun, z.B. bei der Vermengung von Falschinformation und Beleidigung. Wo gesellschaftsbezogene Konzepte wie die Integrität der Wahlen berührt sind, stellt das Recht weniger Instrumente bereit. 
 
Möglichkeiten und Grenzen des Rechts
Was tun, wenn es um die Eindämmung der Risiken von Falschinformationen geht? Das Gutachten wirft einen Blick auf die Möglichkeiten und Grenzen des Rechts bei der Steuerung von Kommunikation und analysiert eine ganze Reihe von in der Diskussion befindlichen Gegenmaßnahmen.


 
 
Die gesetzliche Anknüpfung an Wahrheit/Unwahrheit findet ihre Grenze in der Prämisse, dass der Staat nicht Wahrheit definieren oder vorgeben kann. Die Aushandlung bzw. soziale und diskursive Konstruktion von Wahrheit obliegt in erster Linie der Gesellschaft. Hätte der Staat die Möglichkeit, Wahrheit zu bestimmen, würde er der Gesellschaft „seine“ Wahrheit aufoktroyieren. Der Volkswille vollzöge sich dann nicht vom Volk zum Staat, sondern umgekehrt. Das widerspräche dem Demokratieprinzip diametral. Gesetzliche Kommunikationsregulierung – auch bei Desinformation – bleibt vor allem dem engen Bereich straf- und persönlichkeitsrechtlich relevanter Äußerungen und Darstellungen mit unmittelbarem Gefährdungspotenzial für bedeutende Rechtsgüter vorbehalten. 
 
Möglichkeiten staatlicher Regelungen ergeben sich, wo Falschinformationen für die öffentliche Willensbildung relevant sind und die eigentlich nötige gesellschaftliche Aushandlung ihrer Wahrheit aus strukturellen Gründen nicht möglich ist (bspw. zeitliche Nähe zu einer Wahl). Der Staat kann tätig werden, wo Inhalte journalistische Äußerungen nachahmen, ohne wahrhaftigkeitsbezogenen Sorgfaltspflichten nachzukommen. Zweck solcher Regeln ist die kontrafaktische Stabilisierung des Vertrauens in journalistisch-redaktionell gestaltete Inhalte.  Äußerungen, die durch ihre Gestaltung einen erhöhten Wahrheitsanspruch geltend machen, können rechtlich stärker als nicht-journalistische Angebote an Richtigkeitsgebote gebunden werden (insb. pseudo-journalistische Outlets). 
 
Der Gedanke erhöhter Sorgfaltspflichten kann ggf. auch auf Äußernde angewandt werden, die hohe Reichweiten in der öffentlichen Kommunikation erreichen. Hier kann ein gleitender Sorgfaltsanspruch zu abgestuften Anforderungen führen. Auch die „Erschleichung“ kommunikativer Macht durch Missbrauch von Kommunikationsmöglichkeiten kann staatliche Gewährleistungspflichten für die Aufrechterhaltung der Grundbedingungen freier Kommunikation auslösen, wo andere Informationen systematisch verdrängt werden. 
 
Regulierung im Rahmen der Privatautonomie
Für alle anderen Formen von Äußerungen, deren Wahrheitsgehalt durch gesellschaftliche Aushandlungsprozesse ermittelt wird, gilt der Grundsatz staatlicher Zurückhaltung. Hier kann der Staat gesellschaftliche Diskurs- und Aushandlungsprozesse fördern und unterstützen. In diesem Bereich sind private Kommunikationsplattformen berechtigt, im Rahmen der Privatautonomie eigene Regeln (durch) zu setzen. Für zulässige Falschinformationen sind es die Plattformen, die hier Möglichkeiten und Grenzen im Rahmen der Community Standards setzen. Das tun sie auch bereits, etwa mit Blick auf Melden oder „Flaggen“ von relevanten Beiträgen, auf Einblendungen von Hinweisen oder Warnungen, durch Einbindung von Fact Checking-Akteuren oder Sanktionsmöglichkeiten wie Depriorisierung, Löschung oder Accountschließung. 
 
Die Diskurse über die Reichweite der Verantwortung von Social Media-Angeboten mit Blick auf die mittelbare Drittwirkung der Meinungsfreiheit umfassen auch diesen Bereich plattformeigener Maßnahmen gegen Desinformation. Aus der mittelbaren Drittwirkung folgen Anforderungen an die Ausgestaltung plattforminterner Maßnahmen gegen Desinformation. Zusammengefasst: (1) Gleichförmige Verfahrensgestaltung, (2) Widerspruchsmöglichkeiten und (3) transparente und überprüfbare Verfahren. 
 
Hybride Governance
Die Plattformen können also gesetzlich nicht verpflichtet werden, in jedem Fall bestimmte Gegenmaßnahmen für legale Äußerungen vorzuhalten. Führen Anbieter solche Verfahren aber ein, kann der Gesetzgeber Prinzipien und Mindestanforderungen aufstellen. Diese Form von verschränkten staatlichen Vorgaben und plattformeigenen Konkretisierungs- und Gestaltungsmöglichkeiten ist mit bisherigen Regulierungskonzepten nicht vollständig zu fassen. Hier braucht es neue institutionelle Steuerungskonstellationen. 
 
Im Gutachten bezeichnen wir diese Konfigurationen als Formen "hybrider Governance". Den Begriff werden wir noch öfter hören, weil sich stukturähnliche Überlegungen bei Überlegungen zu "platform governance" allgemein und "social media councils" speziell ebenfalls stellen.


 
 
Fazit
Falschinformationsbezogene Governance ist komplex. Gegenmaßnahmen können – in restriktiv abgrenzbaren Bereichen – gesetzlicher Natur sein. Der Großteil von Desinformations-Governance findet aber in privatautonomen, zivilrechtlich umhegten Umgebungen statt. 
 
Hierfür kann das Recht Grundanforderungen und Prinzipien aufstellen - die Entscheidung über das Ob und Wie des Einziehens von Gegenmaßnahmen obliegt aber den Plattformanbietern. 
 
 
 Das vollständige Rechtsgutachten ist hier zu finden. Für Eilige gibt es eine ausfühliche Zusammenfassung.
 
 
 

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