Die Autor*innen erforschen die Kommunikation über Vergangenheit und die kommunikativen geschichtspolitischen Praktiken der Neuen Rechten. In diesem Beitrag greifen sie den medialen Aufreger der zurückliegenden Woche auf und nehmen die Meme-Kommunikation zu “Jana aus Kassel” und ihren historischen Vergleich genauer unter die Lupe.
von Hermann Breitenborn, Daria Chepurko, Dr. Hans-Ulrich WagnerSeit letzter Woche geht ein gut einminütiges Handy-Video viral. Es zeigt den Auftritt einer 22-jährigen “Querdenker”-Rednerin. “Ja, hallo, ich bin Jana aus Kassel” hebt sie, etwas ungelenk, am 21. November 2020 auf einer öffentlichen Veranstaltung in Hannover an. Mit einem Blick auf ihren Notizzettel bringt sie sich mit dem ersten Satz in eine direkte ‘gefühlte’ Verbindung mit Sophie Scholl. Für sie, die Aktivistin Jana, gilt: Ihr aktuelles ‘querdenkerisches’ Engagement steht in Analogie zum Widerstand gegen das NS-Regime. Zur dramaturgische Pointe des Videos wird die vielleicht authentische, vielleicht aber auch inszenierte Reaktion eines Ordners, der die Sprecherin unterbricht, demonstrativ seine Weste als Ordner hinwirft und die bisherigen Ausführungen von Jana hörbar als “Schwachsinn” brandmarkt.
Mehrere Politiker*innen und Funktionsträger verurteilten den historischen Vergleich, den Jana zieht und sprachen von “Geschichtsvergessenheit”, “Verharmlosung des Holocaust” und “Instrumentalisierung der NS-Opfer” (vgl. @HeikoMaas; @Buchenwald_Dora). Auch die sogenannten Mainstream-Medien wandten sich dem Thema zu. Einem jüngeren Zielpublikum machten “DASDING” und “MrWissen2go-Geschichte” deutlich, warum “Nazi-Vergleiche = falsch” gilt. Satire-Sendungen wie “extra3” und Jan Böhmermanns „ZDF Magazin Royale“ ließen sich Janas Auftritt ebenfalls nicht entgehen; die “heute show” spitzte am 27.11.2020 Janas historischen Vergleich als absurden “Geschichts-LK bei Herrn Höcke” zu.
Doch “Jana” ist in der zurückliegenden Woche vor allem in der Netzkommunikation zu einem Aufreger geworden. Über das Hashtag #janaauskassel verbreitete sich nicht nur die Information über ihren Auftritt sehr rasant. Ihr historischer Vergleich rief im Netz mannigfache Reaktionen hervor. Dabei dominiert eine gewisse Häme, die sich über die “Querdenkerin” ergießt. Diese wird mitunter als so groß erachtet, dass User*innen bereits Anlass zur Sorge äußern, die junge Frau könne der medialen Aufmerksamkeit nicht mehr gewachsen sein (vgl. @GeorgineKellerm). Nur vereinzelt finden sich Äußerungen der politischen Rechten bzw. von verschwörungstheoretischen Anhängern (“Marxistische Herrschaft über Sophie Scholl Narrativ”, @vestenatangian, 26.11.2020).
Meme-Boom
In den sozialen Netzwerken und auf Imageboards erweisen sich Memes als eine sehr populäre Form der Auseinandersetzung mit dem Thema. Ganz allgemein gilt: Memes boomen – sicherlich weil die Bild-Text-Makros zunächst einmal als lustig und unterhaltsam erscheinen (sollen) und das Zusammenbringen von unterschiedlichen Elementen dem kreativen Spiel vielfältige Möglichkeiten eröffnet. Doch Memes – mitunter voller Witz und frech zugespitzt – können mehr sein als eine spielerische, schnell gemachte Meinungsäußerung. Für Flora Hartmann von der Amadeu Antonio Stiftung sind sie bereits ein fester Teil der “politischen Netzkultur”, eine mediale Form, die der politischen Auseinandersetzung dient. Nicht ohne Grund macht bereits Tom Ascotts Schlagwort vom “memetic warfare” die Runde.
Memes gehören deshalb auch ganz selbstverständlich zu dem am Institut laufenden Forschungsprojekt, das den Umgang der Neuen Rechten mit Geschichte monitort. Mit Memes können verschiedene Dinge kombiniert werden Sie sind in besonderer Weise geeignet, Referenzen auf Vergangenheit und Meinungsäußerungen zur Gegenwart zusammenzubringen. Das heißt es sind kommunikative Praktiken des Remix und Remediate, die also vorhandenes Material, oft aus den Medien, aufgreifen und inbesondere mit Bezug auf Geschichtspolitik und Erinnerungskultur neu zusammenstellen.
Das Material
Um “Jana-Memes” zu finden, folgten wir zum einen dem Hashtag #janaauskassel auf den zentralen sozialen Netzwerken Facebook, Twitter und Instagram; zum anderen durchsuchten wir Meme-Plattformen wie Reddit, Pr0gramm und 9GAG. Unser Ziel konnte es in den zurückliegenden Tagen nicht sein, ein Korpus mit dem Anspruch auf Vollständigkeit zu erstellen. Vielmehr galt es, einen Überblick über die Formen der Meme-Kommunikation zu erhalten und zu fragen, welche Muster in der Darstellungsweise beschrieben werden können und wie die politische Stoßrichtung dieser Kommunikate einzuschätzen ist.
Das äußerst vielfältige Material lässt sich grundlegend in zwei Kategorien fassen. In der ersten Kategorie lassen sich die Meme-Macher*innen von Meme-Templates leiten, das heißt, sie nutzen bereits populäre Muster dieser Form der Netzkommunikation. Solche Templates, wie sie von “Meme-Generator”-Apps oder auf Websites wie “imgflip.com” angeboten werden, ermöglichen eine schnelle Reaktion auf das Ereignis. Die Vorlagen können dann mit sprachlichen und bildlichen Modifikationen versehen werden. Die Kommunikatoren können auf weitere Aspekte anspielen und das Ereignis in neue Kontexte stellen. Zwei weit verbreitete Formate sind die sogenannten „Then vs. Now“-Memes bzw. die – in abgewandelter Form – „Swole Doge vs. Cheems“- Memes. Im Fall von “Jana” werden wir sehen, wie leicht mit ihnen die Absurdität und Sinnlosigkeit von Janas historischem Vergleich herausgestellt werden kann.
In der zweiten Kategorie nehmen die Meme-Macher*innen deutlicher das Ereignis selbst zum Ausgangspunkt und versuchen, ihre Aussage in Form eines Memes zu bringen. Janas Sophie-Scholl-Vergleich wird hier mit der Formel „Ich fühle mich wie X, da ich heute Y“ zum Meme-Template für andere weitaus groteskere (historische) Vergleiche.
Insgesamt existieren unzählige verschiedene Meme-Templates, die sich konstant weiterentwickeln. Neue Templates werden kreiert, mit alten kombiniert, andere Formate verschwinden gänzlich. Memes als Remixe arbeiten immer mit Verweisen und Vergleichen. Aktuell beliebt zum Vergleich von früher und heute ist das bereits erwähnte “Swole Doge vs. Cheems”-Meme. In ihnen erscheint die Vergangenheit als positiv, als groß und mächtig; die zu ihr in Relation stehende Gegenwart hingegen als schwach, klein und dumm.
Das nachfolgende Meme, das auf der eigenen Instagram-Seite janaauskasselmemes gepostet wurde, visualisiert den Vergleich mit einigen pointierten Stichpunkten zur historischen Persönlichkeit Sophie Scholl sowie den jeweiligen kritischen Äquivalenten und Seitenhieben zu Jana aus Kassel.

(Quelle: Instagram)
Teilweise wird Kritik auch indirekt geäußert. Mit dem sogenannten “Disappointed Black Guy”-Meme wird der Geschichtslehrer von Jana aus Kassel persifliert. Es ist ein häufig verwendetes Meme, mit dem der Umschwung von Freude zu Enttäuschung sehr einfach dargestellt werden kann.

(Quelle: Instagram)
Schließlich greifen einige Memes das Handeln des Ordners auf, der seine Tätigkeit auf der Veranstaltung demonstrativ niederlegte – ein Faktor, der sicherlich entscheidenden Einfluss auf die Viralität des Videos hatte. Dies wird von User*innen mit Hilfe eines klassischen Meme-Templates aufgegriffen, das den Sänger Drake mit einer ablehnenden und einer zustimmenden Reaktion zeigt. Dem Oppositionspaar wird Janas Auftritt bzw. ein (Akten-)Ordner zugeordnet.

(Quelle: Pr0gramm)
Über die Nutzung als witzige Kommunikationsmittel hinaus finden Memes mittlerweile auch Einzug in die politische Werbung. So verwendet beispielsweise die (Satire-)Partei Die PARTEI gezielt Memes. In einem Facebook-Post des Ortsverbands Detmold bedienten sich deren Mitglieder des beliebten Meme-Templates “Wenn man X auf Wish” bestellt, bei dem sich das Ergebnis schließlich als qualitativ minderwertig bzw. billige Kopie herausstellt.

(Quelle: Facebook)
In der zweiten Kategorie der Memes-Reaktionen finden sich Beispiele, die aus Janas Auftritt ein neues Template kreieren. Dieses greift den historischen Vergleich von “Jana aus Kassel” explizit auf, überhöht diesen dann in ironischer Weise, um ihn so ad absurdum zu führen. Dazu ziehen die Memes andere historische Persönlichkeiten und deren Handlungen heran und stellen sie mit Janas Vergleich-Rhetorik in ein absurdes Licht.
Zahlreiche Memes nutzen ein Standbild von “Jana aus Kassel” als Ausgangspunkt. Das Beispiel hier zeigt den Vergleich mit den Attentatsopfern der norwegischen Insel Utøya 2011.

(Quelle: 9gag)
Der Vergleich funktioniert auch mit Bildern, die mit den Situationen, auf die angespielt wird, zunächst einmal nichts zu tun haben. So wird Jana mit Jeanne d’Arc verglichen, aber durch eine Comic-Figur repräsentiert.

(Quelle: Instagram)
In einem Meme des öffentlich-rechtlichen Satire-Magazins “extra3” wird der historische Vergleich zwar auf die Person des NS-Widerstandskämpfers Graf von Stauffenberg gemünzt und mit einem an Trivialität nicht zu unterbietenden Vorgang gekoppelt. Doch “extra3” belässt es in seinem Meme im Facebook-Post nicht bei der Wiederholung des Vergleichs, sondern wandelt ihn zum deutlichen Statement um.

(Quelle: Facebook)
Instrumentalisierung der Geschichte
Janas Auftritt in Hannover ist in einem Zusammenhang mit geschichtspolitischen Strategien im Umfeld von “Querdenkern” und der “Neuen Rechten” zu sehen. Sie stellen einen Vergleich der Corona-Politik der Bundesregierung bzw. der Landesregierungen mit der Politik der Nationalsozialisten her. Etwa wenn das Infektionsschutzgesetz des Gesundheitsministers in eine Reihe mit dem “Ermächtigungsgesetz” der Nationalsozialisten gestellt wird, wenn mit Bezug auf die Berichterstattung in Zeiten von Corona von einer “Gleichschaltung” der Medien die Rede ist, oder “Impfgegner” sich einen gelben “Judenstern” auf die Kleidung nähen, der die Inschrift “ungeimpft” zeigt. “Mit NS-Vergleichen wird versucht, die Bundesrepublik als totalitäre Diktatur darzustellen”, schrieb Patrick Gensing von der Redaktion “ARD-faktenfinder” nur wenige Tage vor Janas Auftritt am 17.11.2020. Einen regelrechten “Befreiungsdiskurs” attestieren Andreas Audretsch und Claudia C. Gatzka in ihrem jüngst erschienenen, sehr engagierten Buch über die Frage, wie “die Neue Rechte Geschichte instrumentalisiert”.
Mit Bezug auf Memes als kommunikative Handlungen zeigt sich ein Gegenbild. Der historische Vergleich vor allem mit den Opfern des Nationalsozialismus bleibt alles andere als unwidersprochen. Es wird mit Witz und mit Kalauern reagiert, mitunter mit derbem Humor. In der Netzkommunikation werden aber auch Stimmen laut, die zeigen, dass die User*innen der Netz-Community sich grundlegend mit politischen Themen wie Nazi-Vergleichen und Nazi-Relativierungen auseinandersetzen und dabei klare politische Stellung beziehen. Für die Demokratie ist das ein sehr positives Signal.