Sophie Scholl als junge verliebte Frau, Sophie Scholl als Feministin und als Kriegsgegnerin – der Instagram-Account "@ichbinsophiescholl" setzt unterschiedliche Facetten der Widerstandskämpferin in Szene. Die Interpretationen der historischen Person ziehen die Aufmerksamkeit der User*innen auf sich
von Ken Phan
Dieser Beitrag ist der vierte von sechs Teilen des Dossiers „Sophie Scholl auf Instagram: Eine kommunikations- und geschichtswissenschaftliche Untersuchung“. Eine Literaturliste zum gesamten Dossier finden Sie hier.
Angesichts der eingesetzten gestalterischen Mittel – allen voran mit dem Mittel des Selfies in Zeiten einer „Selfie Citizenship“ (Kuntsman 2017) – stellt sich die Frage, ob Sophie Scholl posthum zu einer Art Social-Media-Celebrity stilisiert wird. Die Historikerin und Bloggerin Bianca Walther äußerte eine solche Befürchtung. In ihren Augen werde „eine weichgespülte Sophie“ inszeniert, eine Heldin geschaffen, mit der sich ihre Follower*innen identifizieren (Walther 2021). Für Heike Hupertz gilt als ausgemacht, dass Sophie Scholl als eine Kult-Figur inszeniert werde, wenn auf Instagram, der derzeitigen „Weltbühne des Aktivismus“, Sophie Scholl nicht nur ein berühmtes Mädchen sei, sondern als Vorbild für „Kämpfe gegen Rassismus, Klimakatastrophe und für mehr Gleichberechtigung“ erscheine (Hupertz 2021).
Interessant ist in diesem Zusammenhang der Reel vom 22.7.2021. Sophie Scholl, gespielt von der Schauspielerin Luna Wedler, stellt sich vor der Handykamera vor: „Ich liebe schreiben, zeichnen, musizieren, habe eine Vorliebe für verbotene Bücher und entartete Musik, von gesellschaftlichen Normen hielt ich noch nie viel. Die Natur schenkt mir Kraft – bin stets auf der Suche nach tiefgründigen Gesprächen und meiner Verbindung zu Gott. Und das hier ist mein Weg in den Widerstand! Ich erfahre vom Widerstand an meiner Uni. Finde die Gruppe. Und schließe mich an.“
Die schlichte, aber empfindsame Sprache eignet sich für die Aufmerksamkeit eines jungen Publikums und mag neugierig machen. Sophies Hobbys und Interessen werden in den Mittelpunkt gestellt und mit der schlichten Erzählweise wirkt das Ganze wie eine Alltagsgeschichte eines Mädchens, das – ganz im Sinne des Beziehungs-Managements im Social Web – seine eigene Begeisterung mit seinen Instagram-Follower*innen teilen möchte.
Das unterstreicht der Beitrag vom 30.4.2021. Er zeigt Sophie mit ihrem Freund, dem Offizier Fritz, vor einem Baum sitzen und Händchen halten. Das Motiv, die starke Ausleuchtung des Paars, die erdhaft-braunen und grünen Farben, die Kleidung der beiden – all das erinnert an Heimat- und Liebesfilme der 1940er und 1950er Jahre. Im begleitenden Textfeld werden starke Gefühle benannt: „Fritz und ich. Fritz, Fritz, Fritz! Ja, jetzt wisst ihr schon, was kommt, klar: Fritz und ich, das ist die Liebe in meinem Leben“.
Der Beitrag bringt noch einen dramatischen Effekt ein, indem Sophie die Sehnsucht nach ihrem Geliebten offenbart, der ständig im Krieg ist und nicht immer bei ihr sein kann. Es wird eine romantische Liebesbeziehung vorgeführt, die die Frage der Trennung und des Krieges nicht ausklammert.
Im Zusammenhang mit dem Thema Liebe geht die Zeichnung der Illustratorin Édith Carron, die am 18.5.2021 gepostet wurde sogar einen Schritt weiter: Sie zeigt Sophie und Fritz beim Sex. Darüber prangt der Hippie-Slogan aus den 1960er Jahren „Liebe machen, statt Krieg“ – womöglich soll damit sogar auf Yoko Ono und John Lennon angespielt werden, die ihren Aufenthalt im Bett damals, 1969, als Appell in der laufenden Friedenskampagne inszenierten.
Einen anderen politischen Aspekt bietet ein ebenfalls am 18.5.2021 hochgeladener Post. Er zeigt Sophie Scholl vor einer Bücherwand, selbstbewusst, zornig. Dazu werden ihr die Worte in den Mund gelegt: „Frauen sollen sich nicht mit Politik beschäftigen, sollen am besten gar nicht denken, nur fühlen! Politik sei unweiblich. Wir sollen lieber Mitleid haben, uns um andere kümmern. Ich aber finde, dass zuerst das Denken kommt und dass Gefühle oft irreleiten, weil man über dem Kleinen, das einen vielleicht unmittelbar betrifft – vielleicht am eigenen Leib – das Große kaum mehr sieht. Ich werde wütend, wenn mir nicht zugetraut wird, dass ich mein Hirn auch manchmal zum Denken gebrauche!“ Sophie Scholl wird hier regelrecht als Feministin inszeniert.
Der Fankult um Sophie Scholl und ihre Inszenierung als Vorbild können auch Vorteile darstellen. Der Hype um Sophie Scholl kann, so Joachim Käppner, trotz der ambivalenten Geschichtsdarstellung „eine sehr positive Botschaft“ vermitteln, etwa den einer „junge[n] Studentin, die nicht mehr mitmachte und in einer Gesellschaft, in der Widerstand eine seltene Ausnahme war, dem eigenen Gewissen folgte“. Sophie Scholl sei, so Käppner, „mehr denn je ein Vorbild, eine Identifikationsfigur“ (Käppner 2021). Ganz in diesem Sinn zeigt sich der Post am 8.5.2021, dem Jahrestag des Kriegsendes. Sophies Wunsch für „eine Zeit ohne Krieg – ohne Nationalsozialisten“ wird zu einem Ruf nach Aktionen gegen Krieg. Das Emphatische in diesem Beitrag betont Sophie Scholl als Antikriegs-Aktivistin.
Zur Konstruktion eines glaubwürdigen Vorbildes dürfte schließlich gehören, kein rundum idealisiertes Porträt der Protagonistin zu zeichnen. Selbstkritisch werden am 16.5.2021 Sophies anfängliche Begeisterung für das NS-System und die Aktivitäten des Bund Deutscher Mädel vorgestellt und reflektiert (113.407 Likes; 5.1.2022): „Es gab eine Sophie, die hier in München niemand kennt. Außer Hans. Die Sophie von vor ein paar Jahren beim Bund Deutscher Mädel. Wie stolz ich war in meiner neuen Winteruniform bei meinem ersten Heimabend im Januar 1934 [...]. Am Anfang haben wir da auch gut reingepasst. Volkstänze lernen, singen, mit dem Kompass die Natur erkunden: da war richtig was geboten. Wir haben die Abscheulichkeiten des Nationalsozialismus verdrängt und haben die Verbindung zum BDM ignoriert. Ich bin noch viel zu lange zu den Heimabenden gegangen. Das werde ich mir immer vorwerfen.“
Sophie stellt sich in der charakteristischen Ich-Rede des Accounts ihrem anfänglichen Mitmachen und betont so ihren inzwischen vollzogenen Wandel. Sich Schwächen einzugestehen, aus Fehlern zu lernen, sich persönlich zu verändern – all das lässt sie authentisch, glaubwürdig und als Vorbild greifbarer erscheinen.
Der Instagram-Account „@ichbinsophiescholl“ zeigt also durchaus sehr verschiedene Facetten von Sophie Scholl. Er interpretiert dabei die historische Figur und lädt so die User*innen ein, parasoziale Beziehungen zu der jeweils vorgestellten Person aufzubauen.
Titelbild: Screenshot Instagram @ichbinsophiescholl (BR & SWR)
Literatur
- Hupertz, Heike (2021). Sophie Scholl ist jetzt bei Instagram. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.5.2021. [18.12.2021].
- Käppner, Joachim (2021): “Sophie Scholl: Die Mutige”. Süddeutsche Zeitung, 9.5.2021, [7.12.2021].
- Kuntsman, Adi (Ed.) (2017): Selfie Citizenship. London: Palgrave Macmillan.
- Walther, Bianca (2021): “Ich bin Sophie Scholl” auf Instagram. Ein paar persönliche Gedanken. Blog, 22.5.2021. [18.12.2021].