Das Informationsbedürfnis in der Coronakrise ist enorm. Es gibt viele Fragen, aber wenig klare Antworten. Wie sich Menschen in der aktuellen Krisensituation informieren und warum es gerade ein Podcast zu beachtlicher Bekanntheit geschafft hat, weiß Mediennutzungsforscher Dr. Sascha Hölig. Die Fragen stellte Johanna Sebauer.
Meiner Generation sagt man nach, sie würde kein lineares Fernsehen mehr schauen. Seit Beginn der Coronakrise sitze ich als Millenial jeden Abend vor der Tagesschau. Was ist da los?
Diese Beobachtung machen gerade viele Menschen bei sich selbst. Auch die Anbieter spüren das: Journalistische Traditionsmarken verzeichnen zurzeit hohe Einschaltquoten und Klickzahlen. Das Informationsbedürfnis in der Bevölkerung ist aktuell extrem groß, und in solchen Momenten greifen die Menschen tendenziell auf belastbare, seriöse Quellen zurück. In Ländern mit einem gut ausgebauten und staatsfern organisierten öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem, wie Deutschland oder Großbritannien, zeigt sich insbesondere in diesen Situationen immer wieder, dass die Menschen diesen Angeboten doch ganz gut vertrauen.Ist die Krise eine Chance für die Öffentlich-Rechtlichen und für Qualitätsjournalismus zu beweisen, dass es lohnt, für sie zu bezahlen?
Absolut. Die Öffentlich-Rechtlichen und andere Qualitätsmedien übernehmen gerade eine sehr relevante Rolle. Der ganz klassische Journalismus kann in Zeiten wie diesen aufleben. Wobei die Öffentlich-Rechtlichen den Vorteil haben, dass sie relativ gut finanziert sind und sich neben der Bereitstellung von Informationen nicht zwangsläufig mit finanziellen Existenzängsten zu beschäftigen brauchen. Privatfinanzierten Medien hingegen brechen die Werbeeinnahmen weg. Konzerte sind abgesagt, Restaurants haben geschlossen, es finden keine Veranstaltungen statt – wichtige Anzeigenkunden halten sich also zurück. Ein Geschäftsmodell, das auf Werbeeinnahmen basiert, steht aktuell vor sehr großen Herausforderungen.Darf man hoffen, dass die Menschen die quarantänebedingt jetzt zuhause bleiben müssen und mehr Zeit haben, auch vermehrt Medien konsumieren und kaufen werden? Vielleicht Bezahlabos abschließen?
Die Angebote werden schon stärker genutzt, aber ob sich das tatsächlich langfristig in Bezahlabos niederschlägt, bleibt abzuwarten. Sicherlich wird der eine oder andere ein neues Abo abschließen, wobei ich vermute, dass dies eher zugunsten von Netflix und Co. geschieht als zugunsten von journalistischen Medien.Diese stehen diesbezüglich außerdem vor der Frage: Wie geht man in der konkreten Krisensituation mit Bezahlsystemen um? Es gibt durchaus Stimmen die sagen, auch private Medien sollen jetzt ihren journalistischen Content kostenlos zugänglich machen. Allerdings ist gerade der Verkauf von Informationen das zentrale Geschäftsmodell privatfinanzierter journalistischer Medien.
Ein ethisches Dilemma? Nutzen aus dem großen Nachrichteninteresse schlagen und für wichtige Informationen Geld verlangen oder selbstlos auf Einnahmen verzichten im Sinne der Allgemeinheit.
Ich glaube in Deutschland muss sich niemand Sorgen machen, dass wichtige Informationen an ihr oder ihm vorbeigehen. Wir haben die Informationsversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Angebote, die jeder per Rundfunkbeitrag finanziert, gesichert. Private Nachrichtenmedien leben nun einmal davon, zusätzliche Informationen zur Verfügung zu stellen. Aus deren Perspektive ist es völlig legitim, damit Geld verdienen zu wollen. Jetzt sieht man auch, dass gut recherchierte, belastbare Informationen etwas kosten, und warum es wichtig ist, dafür zu zahlen.Die New York Times hat alle Corona-bezogenen Artikel vor ihre Paywall geholt. Wäre das eine Strategie?
Da gibt es in meinen Augen kein Richtig oder Falsch. Die Strategie kann man natürlich fahren und ich finde sie auch löblich. Ich kann es aber keinem Medienangebot verübeln, wenn es diesen Content hinter eine Paywall setzt. Das ist immerhin deren Geschäftsmodell.Abseits der klassischen Nachrichtenmedien: Welche Rolle haben soziale Medien in dieser Krise?
Soziale Medien werden aktuell natürlich viel mehr genutzt, weil viele Menschen einfach mehr Zeit haben und es eine gute Möglichkeit ist, mit anderen in Verbindung zu bleiben. Die Situation ist allerdings etwas verzwickt. Der Informationsbedarf ist groß, es gibt viele Fragen, aber wenige wirklich klare Antworten. Trifft dies aufeinander, eröffnet sich immer ein Spielraum für Spekulationen und Verschwörungstheorien, und dafür sind soziale Medien leider ein guter Nährboden. Wenn aus allen Ecken widersprüchliche Informationen kommen, trägt das nicht zur Stabilisierung der Lage insgesamt bei, sondern fördert mitunter Unsicherheiten.Man muss aber sagen, dass sich die allermeisten an den Aussagen offizieller Quellen oder seriöser journalistischer Quellen orientieren und nicht sofort alles glauben, was sie auf Social Media finden. Vielen wird vermutlich jetzt noch einmal eine wichtige Leistung des Journalismus bewusst: Herstellen von Öffentlichkeit und Prüfen und Einordnen von Informationen. Die aktuelle Situation ist für den Journalismus eine gute Möglichkeit, unter Beweis zu stellen, dass er die Spreu vom Weizen trennt und journalistische Beiträge idealerweise eine andere Belastbarkeit aufweisen als das Wirrwarr in den sozialen Medien.
Diese Pandemie ist die erste, die wir rund um den Globus in Echtzeit verfolgen. Am Anfang huschte noch gefühlt jeder neue Todesfall per Push-Nachricht über den Smartphone-Bildschirm. Wie lässt sich diese Flut an negativen Informationen über einen längeren Zeitraum aushalten?
Wir werden vermutlich verschiedene Phasen durchlaufen. Das generelle Informationsbedürfnis wird so schnell nicht verschwinden. Aber es wird sich verändern, das ist klar. Die ersten Infizierten und Toten hatten in der Wahrnehmung der Mediennutzer noch einen anderen Stellenwert als der 20.000ste. Bisher konnte die Nachrichtennutzungsforschung beobachten, dass sich bei den meisten Themen irgendwann eine Verdrossenheit einstellt, egal wie wichtig sie zu Beginn waren. Zum Beispiel bei der Berichterstattung über Christian Wulff, Karl-Theodor zu Guttenberg, Fukushima oder dem EHEC-Virus.Beim Thema Corona ist es ein bisschen anders, weil es uns sehr nah ist, es um den eigenen Leib und das eigene Leben geht und es eine sehr dynamische Entwicklung hat. Eine Verdrossenheit wird sich daher nicht so schnell einstellen, aber die Menschen werden einen Umgang finden. Die wenigsten werden dauerhaft den ganzen Tag Live-Ticker verfolgen, sondern nur mehr zweimal am Tag auf die Hauptnachrichtenangebote zurückgreifen und sich zwischendurch mit anderen Sachen und auch anderen Medieninhalten beschäftigen.
Ein wichtiges Informationsformat in dieser Krise ist der NDR-Podcast mit dem Virologen Prof. Christian Drosten, der tagesaktuell Fragen um die Pandemie bespricht.
Ein Akteur wie Drosten ist in Zeiten wie diesen natürlich Gold wert. Er verkörpert den kompetenten Wissenschaftler, der auch in der Lage ist, komplexe Zusammenhänge für den Laien nachvollziehbar darzustellen. Gleichzeitig sagt er auch offen, dass er nicht die Antwort auf alle Fragen hat. Diese Transparenzebene wird momentan sehr wertgeschätzt. Es gibt nichts Schlimmeres, als mit vermeintlichen Wahrheiten in die Welt zu gehen, die sich ein paar Tage später als Irrtum herausstellen. Wir leben in einer Phase mit vielen Unsicherheiten, in der wir Erkenntnisse an einem Tag gewinnen und am nächsten schon wieder anpassen oder revidieren müssen. Im Prinzip ist das ganz klassische Wissenschaft. Drosten kriegt es hin, diese Wagheit im Prozess des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns darzustellen und die Menschen mitzunehmen. In Zeiten wie diesen kann man solche Akteure nicht hoch genug schätzen.Überrascht es, dass gerade ein Podcast es zu derartiger Reichweite gebracht hat?
In der aktuellen Situation kann das Format Podcast seine Stärken extrem gut ausspielen. Podcasts kann man hören, wann man will, und sie wunderbar nebenbei konsumieren: während man Sport treibt, bügelt, kocht. Das ist der große Vorteil des Audioformats, das auch das Radio ja immer schon als „Nebenbei-Medium“ ausgezeichnet hat. Beim Podcast kommt hinzu, dass das Format erlaubt, komplexe Fragen zu diskutieren und sehr detailliert in die Tiefe zu gehen. Und das Interesse an tiefgehendem Verständnis über die aktuelle Lage ist gerade sehr groß. Ein Podcast als Medium kann diesem Interesse hervorragend nachkommen.Podcast – das Krisenmedium der Zukunft?
Es kommt darauf an, welche Funktion man ihm zuweist. Podcasts sind natürlich nicht das ideale Medium für Breaking-News. Aber wie gesagt: Für die detaillierte Auseinandersetzung mit komplexen Sachverhalten und eine differenzierte Einordnung von Informationen bieten Podcasts ideale Möglichkeiten.Foto: Mark Claus / Unsplash