Thematischer Bezug zu gesellschaftlichem Zusammenhalt
Der gesellschaftlichen Funktion des Journalismus ist (in Deutschland) die demokratietheoretische Vorstellung inhärent, dass Medien und Journalismus zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen (sollen). Hierfür ist es unerlässlich, dass Journalismus (s)ein Publikum erreicht. Die Qualität der Beziehung zwischen Journalismus und (seinem) Publikum stellt daher auch den Kern der meisten öffentlichen Debatten dar, die heute rund um den Journalismus geführt werden: sei es in Bezug auf Vertrauen in Journalismus, den „Aufstand des Publikums“ in den Kommentarbereichen und sozialen Medien sowie ganz grundlegend im Hinblick auf die Bedeutung des Journalismus für Demokratie und Meinungsbildung. Sowohl die öffentliche Debatte als auch Forschung vernachlässigte bisher allerdings weitgehend, die Erwartungen von Bürger*innen an den Journalismus sowie ihre „Passgenauigkeit“ mit dem journalistischen Rollenselbstverständnis näher zu beleuchten. Ein genaues Bild hierüber ist für die Erfüllung der gesellschaftlichen Funktion des Journalismus aber unerlässlich. Denn nur, wenn Erwartungen an Journalismus nicht dauerhaft und nachhaltig enttäuscht werden, kann er ein / sein Publikum erreichen.
Auch aus rechtlicher beziehungsweise medienregulatorischer Perspektive sind solche Befunde relevant. So unterstellen das Kommunikationsverfassungsrecht, das einfache Medienrecht und die pressebezogene Selbstregulierung dem Journalismus die Übernahme spezifischer Funktionen in einer deliberativen Mediendemokratie. Die empirischen Erkenntnisse können Hinweise auf mögliche Fehlwahrnehmungen dieser Funktionen durch Journalist*innen, aber auch inkongruente Zuschreibungen und Erwartungen von Bürger*innen an Journalismus erbringen.
Das Projekt wird somit insbesondere die Einstellungen und wechselseitigen Erwartungen von zwei Akteursgruppen untersuchen, die gemeinsam an der Herstellung von Öffentlichkeit und durch sie vermitteltem gesellschaftlichem Zusammenhalt beteiligt sind. Darauf aufbauend lassen sich zum einen Erkenntnisse über das Beziehungsgeflecht der Journalismus-Publikum-Konstellation ableiten, zum anderen aber auch überindividuelle Aspekte der Neuausrichtung einer gesellschaftlichen Institution – des Journalismus – analysieren. Anspruch des Projekts ist somit, vor allem in empirisch-analytischer Hinsicht zum besseren Verständnis von
affektiven Einstellungen beizutragen, die Grundlage für die Produktion und Wahrnehmung der (Medien-)Realität sind. Zugleich sollen aber auch begrifflich-theoretische Grundlagen erarbeitet werden, die die Bedeutung der Journalismus-Publikum-Beziehung für die Realisierung gesellschaftlichen Zusammenhalts erschließen helfen.
Methoden, empirischer Zugang, Vorgehen
Um die zwei Leitfragen des Teilprojekts zu beantworten, sind mehrere miteinander verschränkte Vorhaben geplant:
- eine explorativ-qualitative Vorstudie zu „zusammenhaltssensiblen Berichterstattungsmustern“;
- eine quantitative Befragung von Journalist*innen in Deutschland;
- eine quantitative repräsentative Bevölkerungsumfrage (sie wird in Kooperation mit dem Hamburger Teilprojekt „Integrationsfunktion von Public Service Medien“ durchgeführt);
- eine medien- und verfassungsrechtliche Einordnung der Befunde.
In der Vorstudie werden auf Grundlage einer Literatursichtung sowie von zwei Workshops mit Journalist*innen und Kommunikations-Expert*innen Grundzüge einer für Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts sensibilisierten Berichterstattung ermittelt und in Form einer Handreichung zusammengefasst. Aspekte werden unter anderem die objektive, aber zugleich Verständigung stiftende Darstellung von gesellschaftlichen Konflikten oder auch die Sensibilisierung für Machtunterschiede sein.
Vorhaben 2 und 3 sind miteinander verschränkt: Mit Hilfe einer Befragung von Journalist*innen sowie einer Bevölkerungsbefragung werden journalistisches Selbstbild (welche Rolle und Aufgaben Journalist*innen sich selbst zuschreiben) und das korrespondierende Fremdbild auf Bevölkerungsseite (welche Erwartungen Bürger*innen an Journalist*innen haben) erhoben und miteinander abgeglichen. Dabei wird ein besonderer Schwerpunkt auf der journalistischen Thematisierung von „Zusammenhalt“ beziehungsweise gesellschaftlichen Konflikten sowie der damit verbundenen Repräsentation von Interessen und Zielen liegen; hierzu werden auch Erkenntnisse aus der Vorstudie einbezogen. Der Abgleich der Befunde auf Bevölkerungs- und Journalismus-Seite wird Aufschluss darüber geben, wie nah oder weit in verschiedenen Bevölkerungsgruppen die jeweiligen Auffassungen auseinanderliegen – also zeigen, was Journalist*innen sollen und wollen.
Vorhaben 4 nimmt die empirischen Befunde zum Ausgangspunkt einer rechtlichen Analyse, die Funktionszuschreibungen an den Journalismus aus Medien- und Verfassungsrecht mit den Selbstbildern der Journalist*innen sowie den Erwartungen in der Bevölkerung vergleicht. Darauf aufbauend wird die Analyse Schlussfolgerungen für die Medienpolitik und das Medien(verfassungs)recht entwickeln.