Die Zeiten, in denen Presse und Politik in Mexiko einander kameradschaftlich den Rücken freihielten, mögen vorbei sein, dennoch hat es kritischer Journalismus schwer in diesem Land. Die Journalistin und Medienforscherin Verónica Sánchez forscht nach den Gründen
Von Verónica Sánchez
In meiner aktuellen Forschung untersuche ich den Watchdog-Journalismus in meinem Heimatland Mexiko. Der Begriff kommt aus der US-amerikanischen Journalismusforschung. Damit ist ein Journalismus gemeint, der den Mächtigen auf die Finger schaut, Missstände aufspürt und sie lautstark anprangert. Wie ein Wachhund.
In Mexiko ist diese Art von Journalismus ein junges Konzept. Erst Ende der 1970 Jahre gab es erste Versuche von Medienhäusern, kritischen Journalismus zu etablieren. In den Jahrzehnten davor waren Presse und politische Elite in Mexiko in einer, wie die Forschung es heute nennt, „Relationship of Convenience“ („Zweckmäßigkeitsbeziehung“) eng miteinander verbunden. Die Presse verhielt sich den Mächtigen gegenüber loyal, die Mächtigen wiederum verschafften der Presse wirtschaftliche Vorteile. Da Mexiko bis in die 1990er Jahre wirtschaftliches Wachstum sowie soziale und politische Stabilität erlebte, schien niemand kritische Stimmen zu vermissen. In dieser Zeit sahen sich viele Journalisten als Teil des politischen Systems und nicht als eine Instanz, die Politiker kritisch beäugt und zur Rechenschaft zieht.
Ruf nach kritischer Presse
Doch die Dinge begannen, sich zu ändern. Ein symbolträchtiger Wendepunkt war das Massaker von Tlatelolco im Jahr 1968. Wie in vielen Teilen der Welt, war das Jahr 1968 auch in Mexiko ein Jahr der Revolte. Während eines friedlichen Studentenprotestes im Stadtteil Tlatelolco in Mexiko City erschossen Militär und Polizeikräfte 200 bis 300 demonstrierende Studenten. Mexikanische Nachrichtenmedien ließen in ihrer Berichterstattung über diese Ereignisse wichtige Fakten aus. Nur durch einen Artikel im britischen Guardian erfuhr die mexikanische Öffentlichkeit von der tatsächlichen Zahl der Todesopfer. Unter den Bürgern Mexikos wurde der Ruf nach einer kritischen Presse im eigenen Land lauter.Neuer Stil des Journalismus
Zwischen den 1970er und 2000er Jahren erlebte die mexikanische Medienlandschaft eine Liberalisierung. Viele neue Zeitungen wurden gegründet, deren Journalisten mit einem neuen, distanzierten und kritischen Stil ans Werk gingen. Unter ihnen die Tageszeitung Reforma, bei der auch ich vier Jahre lang gearbeitet habe. Ich habe dort hautnah miterlebt, was das neue Selbstverständnis des Journalistenberufs im Alltag bedeutete. Bei der Kleiderordnung fing es an. Bei Pressekonferenzen mussten Männer eine Krawatte und wir Frauen formelle Kleidung tragen. Wir durften nichts vom Büffettisch nehmen, da man ja keine Geschenke von seinen Quellen akzeptieren sollte. Selbst ein Glas Wasser war zu viel.
Krise
Heute stehen die mexikanischen Nachrichtenorganisationen, wie viele Nachrichtenorganisationen weltweit, vor Herausforderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt. Ein großes Problem ist die Finanzierung von Qualitätsjournalismus. Die mexikanischen Medienhäuser kämpfen darum, ihre Geschäfte am Laufen zu halten, Förderungen werden gestrichen, Anzeigenkunden springen ab. Geschäftsmodelle auf Abonnementbasis lassen sich in Mexiko nur schwer etablieren. Denn aufgrund der jahrzehntelangen Eine-Hand-wäscht-die-andere-Symbiose zwischen Politik und Presse, ist es mexikanischen Medienorganisationen noch immer nicht vollständig gelungen, eine solide Vertrauensbasis mit ihrem Publikum aufbauen.
Die Lösung? Für mich ist Qualitätsjournalismus ein öffentliches Gut, auf das jede und jeder ein Anrecht hat. Und daher sollte es auch als solches behandelt werden. Das bedeutet, dass Qualitätsjournalismus vom Staat garantiert werden muss. Es sollte ein Budget zur Verfügung stehen, das den Fortbestand des Journalistenberufs garantiert.