Irene Broer: "Wer promoviert, braucht Zeit und Selbstvertrauen"
23.02.2020
Irene Broer kommt aus Groningen in den Niederlanden. Seit etwas mehr als sechs Jahren ist sie Hamburgerin. 2018 kam sie als Doktorandin ans HBI. Durch ihr Bachelorstudium in Kulturanthropologie und ihr Masterstudium in Journalismus, ist sie mit einer vielfältigen Palette an sozialwissenschaftlichen Methoden vertraut. In ihrem Dissertationsprojekt kommen diese zum Einsatz – sie erforscht Wissenschaftsjournalismus mit einer ursprünglich aus der Anthropologie entlehnten Methode: der teilnehmenden Beobachtung.
Warum sollte man promovieren – und warum nicht?
Es ist ein Privileg, sich tagtäglich mit schlauen Ideen auseinandersetzen zu dürfen. Für mich hat sich die Forschung als eine sehr erfüllende Arbeit erwiesen. Promovieren sollte man allerdings in erster Linie für sich selbst, d.h. wenn man sich wirklich in einem Thema vertiefen möchte – und nicht nur, um die eigenen Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Es sei denn, man strebt eine wissenschaftliche Karriere an.
Macht Promovieren einsam?
Es kann einsam machen, muss es aber nicht. Als Expertin für das eigene Promotionsthema ist man zwar letztlich auf sich allein gestellt – aber wirklich allein ist man nie. Ich bin aktives Mitglied des PhD-Netzwerks der Leibniz-Gemeinschaft. Beim Austausch mit anderen Promovierenden aus ganz unterschiedlichen Fachrichtungen merke ich, dass wir nicht nur die gleichen Probleme teilen, sondern auch schöne Dinge zusammen durchleben. Wir sitzen alle in derselben Achterbahn.
Welches Vorurteil über die Promotionsphase stimmt?
Dass sie etwas stressig sein kann. Einige meiner Freunde, die am Anfang ihrer Promotion noch euphorisch waren, sahen nach zwei Jahren leicht gereizt aus. Das liegt zum Teil an den prekären Bedingungen, unter denen Promovierende forschen - z.B. das unsichere Arbeitsumfeld, die Zeitverträge und die Doppelbelastung, neben der Dissertation noch weitere Arbeitsaufträge erfüllen zu müssen. Wer promoviert, braucht auf jeden Fall Geduld, Zeit und einen vertrauensvollen Blick in die Zukunft.
Was hat Dich an dem akademischen Umfeld in Deutschland überrascht?
Dass akademische Fachkräfte bis zur Habilitation oder bis zum 45. Jahr als sogenannter „Nachwuchs“ gelten. Dieses Wort kenne ich als „Kinder“ oder „Sprösslinge“ und es kommt mir komisch vor, teilweise sehr erfahrene Fachmenschen so zu bezeigen. Das kann zu einer ausgezogenen Infantilisierung führen, die vor allem bitter ist, wenn man bedenkt, dass die höchste Stufe der Karriereleiter nur für einen Bruchteil der heute Forschenden zu erreichen ist.
Wie oder womit belohnst Du Dich?
Mit einer Folge „Outlander“.
Was liest Du gerade?
„Science Communication: Culture, Identity and Citizenship” von Sarah R. Davies und Maja Horst.
Und privat?
Seitdem ich so viel akademische Literatur lese, kann ich abends keine Bücher mehr sehen. Stattdessen höre ich mich gerne Podcasts an, z.B. 99% Invisible oder unseren BredowCast.
Worauf kannst Du an Deinem Arbeitsplatz nicht verzichten?
Auf meine pinkfarbene Schneekugel mit einem Einhorn drin – ein Geschenk von meinem netten ehemaligen Kollegen. Sie bestätigt meine gute Stimmung. Und die roten Tulpen erinnern mich an meine Heimat, die Niederlande.