Die regulatorische Komplexität in Europa ist an ihre Grenzen gestoßen. Es bedarf eines neuen, kohärenten, langfristig tragfähigen Rechtsrahmens, der Vielfalt schützt, Innovation ermöglicht und demokratische Öffentlichkeit sichert. Dies ist das Ergebnis des 15. Hamburger Mediensymposiums, zu dem am 12. Juni 2025 rund 200 Interessierte und Expert*innen aus Medienrecht, Medienwirtschaft, Medienpolitik und Medienforschung in die Handelskammer Hamburg kamen, um über die Folgen aktueller europäischer Medienregulierung für das deutsche Mediensystem zu diskutieren. Im Mittelpunkt stand die Frage, welche regulatorischen Gestaltungsspielräume auf nationaler und regionaler Ebene bleiben – und was das für die Medienwirtschaft und die demokratische Öffentlichkeit bedeutet.
Moderiert wurde die Veranstaltung von Prof. Dr. Wolfgang Schulz, Direktor des Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI). Er betonte, dass der nationale Gesetzgeber nur dann regionale Vielfalt sichern könne, wenn auf europäischer Ebene ausreichend Spielräume vorhanden seien. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass er regionale oder lokale Anbieter nicht wirksam schützen könne. Dieses zentrale Thema sei bislang rechtlich unzureichend geklärt.
Das 15. Hamburger Mediensymposium wurde veranstaltet vom HBI, der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein (MA HSH) und der Handelskammer Hamburg. Das Symposium wurde von TIDE – Hamburgs Bürger:innensender und Ausbildungskanal aufgezeichnet. Die Vorträge und die Podiumsdiskussion werden demnächst im Programm ausgestrahlt und über den YouTube-Kanal von TIDE verfügbar sein (Link folgt).
Impulse: Medienregulierung, Medienökonomie und Mediennutzung zwischen Einheit und Vielfalt
Nach einer Begrüßung durch Michaela Beck, Geschäftsführerin der Handelskammer Hamburg, folgten vier Impulse, die sich aus medienrechtlicher, medienökonomischer und kommunikationswissenschaftlicher Perspektive damit befassten, inwieweit das von der EU angestrebte einheitliche Rechtsniveau in Spannung zu den Identitäten und Besonderheiten ihrer Mitgliedstaaten und deren Mediensystemen gerät. Welche Gestaltungsspielräume bleiben für die nationale Medienregulierung? Welche Handlungsmöglichkeiten und Lösungsansätze gibt es, um Vielfalt zu erhalten? Wie vernetzt ist die europäische Medienwirtschaft? Und: Wie vielfältig nutzen Menschen die Medien in Europa?
Dr. Tobias Mast, Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI), zeigte, dass im europäischen Medien- und Kommunikationsrecht auf vielen Ebenen zwischen Einheit und Vielfalt gerungen wird. Er veranschaulichte diesen Konflikt anhand der Kompetenzverteilung zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten, der Ausgestaltung europäischer Verordnungen sowie hinsichtlich des Grundrechtsschutzes und der Auswirkungen auf den deutschen Medienföderalismus.
Ass. iur. Christina Etteldorf, Wiss. Institut für Europäisches Medienrecht EMR, zeigte anschaulich, wie komplex, zahlreich und vielfältig die Schnittstellen zwischen europäischer und nationaler Kommunikationsregulierung sind. Die Herausforderung liege darin, die richtige Balance zwischen sinnvoller Trennung und Verbindung zu finden – sowohl inhaltlich als auch in der Rechtsdurchsetzung, so Etteldorf.
Prof. Dr. Josef Trappel, Paris Lodron Universität Salzburg, betonte, dass das Konzentrationsniveau der digitalen Plattformen die traditionelle Medienwirtschaft bei Weitem übertrifft, und machte deutlich, dass die zentrale Frage sei: „Wieviel digitale Vernetzung verträgt unsere Zivilgesellschaft, unsere Demokratie und unser Gemeinwesen?“ Aus demokratiepolitischer Perspektive beurteilte er den Vernetzungsgrad der europäischen Medienwirtschaft als bedenklich für die Medienbranche und die Zivilgesellschaft.
Prof. Dr. Judith Möller, Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI), knüpfte daran an und erläuterte anhand empirischer Daten, wie es um die Vielfalt der informationsorientierten Mediennutzung in Europa bestellt ist, warum diese Vielfalt gesellschaftlich relevant ist und was sich durch die Nutzung sozialer Medien und algorithmische Auswahlprozesse verändert. Mit Blick auf Digitalisierung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Nachrichtenauswahl stellt Möller fest, dass in einigen Teilen Europas die Vielfalt überproportional in Bedrängnis gerate.
Podiumsdiskussion: Wer gibt in der Medienpolitik den Ton an?
Der zweite Teil der Veranstaltung begann mit einem Video-Grußwort von Renate Nikolay, stellvertretende Generaldirektorin in der Europäischen Kommission, Generaldirektion für Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien (DG CONNECT). Daran anschließend moderierte Dr. Felix W. Zimmermann, Chefredakteur der Legal Tribune Online, ein Gespräch zwischen Eva-Maria Sommer, Direktorin der Medienanstalt Hamburg / Schleswig-Holstein, Stefan Ottlitz, Geschäftsführer der Spiegel-Gruppe, und Alexander Natt, LL.M., Leiter der Abteilung „Medien“ / Staatskanzlei Rheinland-Pfalz.
Eva-Maria Sommer mahnte, dass die Medienvielfalt zunehmend durch Desinformation, algorithmische Intransparenz und polarisierende Plattformmechanismen unter Druck gerate. Zusätzlich erstickten die zahlreichen EU-Verordnungen die Vielfalt, so Sommer. Sie erschwerten es den Mitgliedstaaten erheblich, positiv gestaltend einzugreifen, und führten zu großer Unsicherheit darüber, welche Regelungen überhaupt angewandt und durchgesetzt werden könnten. Trotz richtiger Zielsetzungen führten diese Verordnungen in der Praxis zu Rechtsunsicherheit und engen den nationalen Handlungsspielraum ein. Medienvielfalt sei jedoch kein abstrakter Wert, sondern entstehe konkret vor Ort – und müsse auch dort gestaltet werden können. Dafür brauche es flexible Richtlinien, klare Zuständigkeiten und einen selbstbewussten Umgang der Mitgliedstaaten mit ihren regulatorischen Spielräumen.
Die Gesprächsteilnehmer*innen unterstrichen die Bedeutung des Dialogs zwischen Publishern und KI-Plattformen sowie einer Regulierung, die den Medienhäusern Raum für Innovationen lässt. „Das Potenzial von KI zur Stärkung einer informierten Gesellschaft können Publisher und Tech-Plattformen nur gemeinsam ausschöpfen. Dafür braucht es Dialog, Zusammenarbeit und eine Regulierung, die Transparenz und Fairness schafft – ohne Innovation zu blockieren“, so Stefan Ottlitz.
Das Symposium zeigte, dass die regulatorische Komplexität in Europa an ihre Grenzen gestoßen ist. Es bedarf eines kohärenten, langfristig tragfähigen Rechtsrahmens, der Vielfalt schützt, Innovation ermöglicht und demokratische Öffentlichkeit sichert.
Zum Programm der Veranstaltung
Erweiterter Veranstaltungsteil: Handelskammer Media Connect
Erstmalig richtete die Handelskammer Hamburg am selben Tag die „Handelskammer Media Connect“ aus – ein Dialogforum für Medienunternehmer*innen. Auch hier stand die Frage im Fokus, wie sich europäische Regulierungsprozesse auf wirtschaftliche Spielräume auswirken.
Dr. Christian Heise, Hamburg Media School, sprach darüber, wie kreative Talente zwischen KI, Plattformökonomie und gesellschaftlichen Umbrüchen ausgebildet und Hamburg als Medienstandort in Europa gestärkt werden kann. In einem weiteren Impuls gab Stefan Ottlitz Einblicke, wie Medienhäuser neue Geschäftsmodelle zwischen KI, Plattformen und politischen Extremlagen entwickeln.
Foto: Handelskammer Hamburg/Ulrich Perrey; von links: Prof. Dr. Josef Trappel, Alexander Natt, LL.M., Eva-Maria Sommer, Prof. Dr. Wolfgang Schulz, Prof. Dr. Judith Möller, Stefan Ottlitz, Dr. Tobias Mast, Ass. iur. Christina Etteldorf, Dr. Felix W. Zimmermann