Die Hürden eines Social-Media-Verbots in Deutschland: Eine kurze juristische Analyse

Die Diskussion um ein gesetzliches Verbot sozialer Medien für Heranwachsende („Social Media-Ban“) hat nach dem Vorstoß in Australien auch Deutschland erreicht: Zuletzt waren es Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD), die sich für die Einführung einer Altersgrenze von 16 Jahren für Social Media-Plattformen stark gemacht haben. Bereits eine kurze rechtswissenschaftliche Analyse zeigt allerdings fundamentale rechtliche Probleme eines solchen gesetzlichen Verbots auf, die weit über die gewünschte politische Symbolkraft einer solchen Maßnahme hinausgehen.

von Stephan Dreyer

Hürden bei dem Erlass einer nationalen Regelung

Anwendungsvorrang des DSA

Zunächst stellte sich beim Erlass eines gesetzlichen Verbots des Zugangs von Unter-16-Jährigen zu Social-Media-Angeboten die Frage, ob der deutsche Gesetzgeber überhaupt eine entsprechende Norm erlassen könnte. Denn mit der Anwendbarkeit des Digital Services Act (DSA), einer unmittelbar geltenden Europäischen Verordnung, hat die EU seit dem 17.02.2024 einen vollharmonisierenden rechtlichen Rahmen für sogenannte Vermittlungsdienste geschaffen, zu denen auch die gängigen Social Media-Plattformen gehören. Das bedeutet, dass EU-Vorgaben etwaige nationale Vorschriften für Vermittlungsdienste verdrängen bzw. neu erlassene Vorgaben, die die gleichen Ziele wie der DSA verfolgen, nicht angewandt werden dürfen. Aus diesem Grund wurden z.B. fast alle Vorgaben des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) außer Kraft gesetzt.

Ein ausdrückliches Ziel des DSA ist unter anderem der Kinder- und Jugendmedienschutz auf Online-Plattformen, das sich insbesondere in Art. 28 DSA niedergeschlagen hat. Der sogenannte Anwendungsvorrang des Europäischen Rechts führt so dazu, dass Deutschland im Anwendungsbereich des Digital Services Act keine eigene Regelungskompetenz mehr hat. Ein nationales Social Media-Verbot, dass sich an die Anbieter von Online-Plattformen richtet, ist daher nach herrschender Meinung nicht möglich. Das Konstrukt des Awendungsvorrangs ist aber im Einzelnen nicht unumstritten, so dass es Stimmen gibt, die angesichts der teils unbestimmten Vorgaben des DSA noch eine Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten sehen. Die Perspektive der EU-Kommission ist hier aber klar: Keine nationalen Alleingänge bei der Regulierung von Vermittlungsdiensten.

Komplexes Verhältnis zur AVMD-Richtlinie

Eine mögliche Lücke für nationale Regelungen im Anwendungsbereich des DSA könnte sich im Hinblick auf Video-Sharing-Plattformen (VSP) ergeben: Mit der Audiovisuellen Mediendienste-Richtlinie (AVMD-RL) verpflichtet die EU die Mitgliedstaaten, die Vorgaben dieser Richtlinie in nationales Recht umzusetzen, darunter auch die Vorgabe aus Art. 28b AVMD-RL: Danach haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass Video-Sharing-Plattform-Anbieter angemessene Maßnahmen zu treffen haben, um Minderjährige vor Inhalten zu schützen, „die ihre körperliche, geistige oder sittliche Entwicklung beeinträchtigen können“. Dazu können sie etwa auch Systeme zur Altersüberprüfung einsetzen. Eine nationale Vorschrift zur Umsetzung der Richtlinienvorgabe könnte insoweit von dem Anwendungsvorrang des DSA ausgenommen sein. Das Verhältnis zwischen AVMD-RL und DSA aber ist nicht abschließend geklärt; Art. 2 Abs. 4 DSA sagt lediglich, dass der DSA „die Vorschriften anderer Rechtsakte der Union unberührt“ lässt, „die andere Aspekte der Erbringung von Vermittlungsdiensten im Binnenmarkt regeln oder diese Verordnung präzisieren und ergänzen“. Zu diesen Vorschriften gehören ausdrücklich auch jene der AVMD-RL. Präzisieren oder ergänzen nationale Vorschriften zur Umsetzung der AVMD-RL die Vorgaben des DSA, so erschiene dies rechtlich möglich.

Allerdings kann sich ein vollständiges Verbot des Zugangs von Nutzern unter einem bestimmten Alter zu ganzen Social Media-Angeboten aus zwei Gründen rechtlich nicht auf Art. 28b AVMD-RL stützen: Zum einen rechtfertigt die Vorgabe kein vollständiges Verbot, sondern ermöglicht den nationalen Gesetzgebern der Mitgliedstaaten, den Zugang zu bestimmten Inhalten auf sog. Video-Sharing-Plattformen durch Einführung von Anbieterpflichten zu verwehren. Bestehen die Inhalte einer Plattform aber nicht ganz überwiegend aus schädlichen Inhalten, erscheint ein gesetzliches Komplettverbot einer bestimmten Plattform oder einer bestimmten Dienstekategorie als nicht mehr von dem Richtlinienartikel umfasst. Außerdem bezieht sich Art. 28b AVMD-RL auf Video-Sharing-Plattformen, d.h. solche Dienste, die die Zurverfügungstellung nutzergenerierter Sendungen und Videos als Hauptfunktion vorsehen. Fotografien und Bilder gehören nicht zu solchen audiovisuellen Darstellungen, so dass sich eine nationale Regelung, die ein Mindestalter für alle Social Media-Angebote vorsieht, dort nicht auf die Umsetzung von Art. 28b AMSD-RL berufen kann, wo sie auch für Online-Plattformen gelten will, die in erster Linie Fotos und Bilder zugänglich macht. Diese Einordnung ist z.B. mit Hinblick auf Instagram als Social Media-Plattform umstritten.

„Social Media“ als problematischer Anwendungsbereich

Ohnehin ist der Anwendungsbereich eines Social Media-Bans gesetzlich schwierig zu fassen. Es gibt bislang keine Legaldefinition von dem, was „Social Media“ ist. Und angesichts der vielfältigen Erscheinungsformen von Online-Angeboten, über die sich Menschen vernetzen und miteinander kommunzieren können, bleibt bei der Diskussion bislang völlig offen, welche Angebote eigentlich umfasst und welche nicht in das Verbot einbezogen werden sollen. Auch der australische Ansatz stößt auf dieses Problem, wo TikTok und Instagram unter den Social Media-Ban fallen sollen, das Angebot von Youtube aber nicht. Auch im Hinblick etwa auf Diskussions- und Selbsthilfeforen, über die sich Nutzende verbinden und austauschen können, stellte sich die Frage der Tragweite eines Verbots. Daneben gibt es Angebote und Apps mit sozialen Funktionen, die sich speziell an Minderjährige richten; für all jene Anbieter stellte sich ein Ban als existenzgefährdend dar.

Herkunftslandprinzip: Anwendbarkeit auf die großen Plattformen fraglich

Doch es geht noch weiter mit den konkreten rechtlichen Hürden. Für Dienste der Informationsgesellschaft gilt mit Art. 3 der E-Commerce-Richtlinie, für audiovisuelle Mediendienste mit Art. 3 der AVMD-RL das sogenannten Niederlassungs- oder Herkunftslandprinzip. Das bedeutet, dass für einen in einem EU-Mitgliedstaat niedergelassenen Anbieter nur die jeweils nationalen Rechtsvorgaben gelten. Andere EU-Mitgliedstaaten können einem Anbieter aus dem EU-Ausland regelmäßig keine eigenen nationalen Vorgaben im harmonisierten Bereich machen. Ausnahmen gelten nur für behördliche Einzelmaßnahmen, etwa bei Verstößen gegen nationales Jugendmedienschutzrecht – für solche Verfahren sind dann konkrete grenzüberschreitende behördliche Abstimmungsprozesse vorgesehen. Ein allgemeines Gesetz wie ein Social Media-Ban würde daher als deutsche Vorschrift auf Anbieter aus Deutschland und auf solche aus dem außereuropäischen Ausland anwendbar sein (bei Letzteren aber wäre der Vollzug in der Regel gehemmt, weil Maßnahmen deutscher Behörden nicht ohne Weiteres etwa in den USA vollstreckbar sind) – nicht aber auf Anbieter mit Niederlassung in einem anderen EU-Mitgliedstaat.

Die großen Plattformen, die bei der Diskussion über ein Social Media-Ban immer wieder genannt werden, haben ihre EU-Hauptsitze in Irland. Sie unterliegen damit neben den unmittelbar geltenden EU-Vorschriften wie dem DSA nur den nationalen irischen Gesetzen. Deutsche Gesetze können wegen des Herkunftslandprinzips keine Wirkung gegenüber diesen Anbietern entfalten. Ein nationaler Social Media-Ban in Deutschland wäre also letztlich für die Anbieter, auf die die Diskussionen verweisen, nicht bindend und damit auch nicht umsetzbar.

Frage der Verhältnismäßigkeit angesichts der Datenlage: Eignung, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit (auch mit Blick auf kinderrechtliche Gehalte)

Wischte man die bisherigen Probleme bei der Einführung eines gesetzlichen Social Media-Bans in Deutschland beiseite, stellte sich immer noch die grundsätzliche Frage, ob ein Totalverbot für Unter-16-Jährige verhältnismäßig wäre. Als Verbotsvorschrift würde eine solche Vorschrift die Grundrechte der betroffenen Anbieter und der betroffenen Kinder und Jugendlichen erheblich beschneiden. Der Gesetzgeber kann aber nur dort verfassungsgemäß in Grundrechte eingreifen, wo die geplante Maßnahme geeignet, erforderlich und zumutbar ist (sog. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz). Im Hinblick auf alle drei Prüfschritte aber stellt sich ein Social Media-Ban als nicht trivial heraus:

So ist fraglich, ob ein Ban überhaupt geeignet ist, das politisch gewünschte Ziel – Aufwachsen online ohne schädliche Einflüsse durch Social Media – zu erreichen. Die empirische Evidenz des Zusammenhangs von Social Media-Nutzung durch Jüngere und deren Wohlbefinden ist nämlich überaus komplex. Wir wissen, dass es statistische Zusammenhänge gibt zwischen besonderen Formen der Social Media-Nutzung und der Wahrscheinlichkeit, etwa mit dem eigenen Körper unzufrieden zu sein. Die Wirkungsforschung kann hier aber auch mit Blick auf die vielfältigen Erscheinungsformen und Ursachen von psychischen Belastungen und Störungen aber keine kausalen Verläufe nachweisen. Wenn aber unklar ist, ob allgemein die Nutzung von Social Media durch Jüngere allein oder mit ausschlaggebend ist für Beeinträchtigungen beim gesunden Aufwachsen, so bleibt ungewiss, ob ein Verbot im Umkehrschluss dann auch eine messbare positive Konsequenz für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen hat. Aktuelle Studien zeigen, dass es keine Hinweise darauf gibt, dass Social Media Bans tatsächlich positive Effekte haben (; s. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC11554337/https://www.manchester.ac.uk/about/news/social-media-bans/). Die Datenlage ist hier also alles andere als klar – auch wenn Politikerinnen und Politiker dies gerne suggerieren.

Ein weiterer Aspekt der fraglichen Eignung eines Bans ist die Einfachheit der Umgehbarkeit: Es wird immer Nationalstaaten geben, die keine Altersbeschränkungen vorsehen, so dass Kinder und Jugendliche dort Social Media rechtlich einwandfrei nutzen dürften. Mit zwei bis drei Klicks aber ist auf jedem Smartphone und jedem PC ein kostenloser VPN-Tunnel („Virtual Private Network“) eingerichtet, durch den es für einen Social Media-Anbieter so aussieht, als käme eine Nutzerin oder ein Nutzer aus einem Land ohne Altersbeschränkungen. Insbesondere aus Ländern oder US-Bundesstaaten, die in den letzten Jahren Zugänge zu pornografischen Inhalten von Altersüberprüfungen abhängig gemacht haben, wissen wir, dass die Nutzung solcher VPN-Dienste in der Folge massiv ansteigt (z.B. Texas, Florida). Außerdem gibt es weltweit unzählige Angebote zur sozialen Vernetzung, die sich an nationale Vorgaben wie einen Social Media-Ban nicht hielten und stets für deutsche Kinder und Jugendliche erreichbar wären. Es entstünde so die Gefahr, dass Minderjährige wegen eines nationalen Verbots in weniger rechtlich umhegte Bereiche des Netzes ausweichten.

Daneben müsste ein Social Media-Ban erforderlich sein, um das verfassungsrechtlich gewünschte Ziel zu erreichen. Insbesondere dürfte es kein milderes Mittel geben, mit dem man ein gleichwertiges Ergebnis erzielen würde. Hier hat in den letzten Jahren die wissenschaftliche Diskussion um Online-Alterskontrollen und die möglichst positive Nutzung von Social Media-Angeboten gezeigt, dass angesichts der vielen positiven Nutzungsmöglichkeiten und kreativen und sozialen Potenziale, die Kinder und Jugendliche über Social Media-Angebote ausleben, vor allem Maßnahmen weiterführend erscheinen, die eine altersangemessene Nutzung dieser Plattformen ermöglichen. In just diese Richtung geht Art. 28 Abs. 1 DSA: Ein risikobasierter Ansatz, der die Anbieter von Online-Plattformen dazu verpflichtet, ein hohes Maß an Privatheit, Sicherheit und Schutz auf ihren Plattformen für Minderjährige zu gewährleisten. Die herrschende Meinung geht davon aus, dass aus dieser Vorschrift eine Verpflichtung der Anbieter erfolgt, ihre Plattformen altersangemessen zu gestalten, so dass für Minderjährige Inhalte und Funktionen ihrem jeweiligen Alter gemäß zur Verfügung stehen (vgl. https://leibniz-hbi.de/hbi-publications/staerkung-kinderrechte-digital-services-act/). Diese Maßnahme – die durch Art. 28 DSA bereits existiert – stellte sich im Vergleich mit einem Totalverbot insoweit als milderes Mittel dar.

Ein Social Media-Ban erschiene zudem insbesondere im Hinblick auf die Zumutbarkeit der Maßnahme schwierig: Ein Verbot ist nicht nur für die Anbieter ein erheblicher Grundrechtseingriff, sondern auch für die vom Verbot betroffenen Kinder und Jugendlichen. Allen Minderjährigen unter 18 Jahren stehen neben den verfassungsrechtlich verbürgten Rechten und Freiheiten wie der Informationsfreiheit und der Meinungsfreiheit zusätzlich spezifische Kinderrechte zur Verfügung, die sich aus der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK, https://www.unicef.de/informieren/ueber-uns/fuer-kinderrechte/un-kinderrechtskonvention) ergeben. Neben dem Grundsatz des Kindeswohlinteresses, dass bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, zuvörderst auf das Interesse der Kinder abzustellen ist (vgl. https://www.unicef.org/innocenti/innocenti/reports/best-interests-child-relation-digital-environment), enthält die Kinderrechtskonvention Rechte auf Schutz, aber eben auch und gleichberechtigt auf Befähigung und Teilhabe (insb. Art. 12 UN-KRK). Für den digitalen Raum ergibt sich mit Blick auf die Konvention, dass ein Komplettverbot vor allem die Schutzgehalte der Konvention umsetzen würde, die Rechte auf Befähigung und Teilhabe aber faktisch vollständig unberücksichtigt lässt (vgl. https://www.bzkj.de/bzkj/service/alle-meldungen/debatte-um-social-media-verbot-junge-menschen-haben-ein-recht-auf-digitale-teilhabe-251386). Der Zugang zu für ihre Interessen und ihre Entwicklung relevanten Informationen, zu Unterhaltung und zu sozialen Interaktionen (auch) mit Freunden und Gleichaltrigen wäre dadurch im Hinblick auf diese zentralen Plattformen ausgeschlossen. Zudem verhindert ein Social Media-Ban die effektive Befähigung von Jüngeren zum Umgang mit entsprechenden Angeboten; wie sollen junge Menschen auf diesen und über diese Plattformen lernen, wenn ihnen der Zutritt verweigert ist? Die OECD kommt zu dem Schluss, dass ein Komplettverbot zudem eine etwaige positive Begleitung durch Eltern, Erziehende und Fachkräfte ausschließt (https://www.oecd.org/en/publications/how-s-life-for-children-in-the-digital-age_0854b900-en.html).

Auch das Erziehungsrecht der Eltern wäre durch das Totalverbot betroffen: Selbst wenn die Erziehungsberechtigten wollten dürften die Plattformen zu jungen Menschen keinen Zugang gewähren. Damit setzte sich der Staat vor das Erziehungsrecht der Eltern. Soweit das mit der Übernahme des Wächteramts begründet werden sollte, die dem Staat eine aushilfsweise Übernahme des Erziehungsrechts gewährt, wenn Eltern ihren Rechten und Pflichten nicht nachkommen können oder wollen, trägt dieses Argument nicht. Das Wächteramt des Staates aus Art. 6 Abs. 2 GG zielt auf die (Wieder-)Ermöglichung der Übernahme elterlicher Erziehungsrechte und -pflichten, nicht auf die anhaltende Abnahme von Erziehungsentscheidungen durch den Staat. Dass in Umfragen Eltern mehrheitlich einem Social Media-Verbot zustimmen, kann an diesen verfassungsrechtlichen Grundlagen nichts ändern. Eltern können ihre Erziehungspflichten nicht einfach dem Staat überantworten, sondern sie müssen diese grundsätzlich selbst und im Interesse des Kindes ausüben.

Insgesamt erscheint die Verhältnismäßigkeit eines Social Media-Bans mit Blick auf verfassungsrechtliche und kinderrechtliche Gewährleistungen auf recht wackeligen Beinen zu stehen. Um dies abschließend beurteilen zu können, wäre eine ausführliche Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderlich, die in dieser Kurzanalyse nicht geleistet werden kann; aber die Problempunkte sind genannt.

Mit Blick auf die Überlegungen zu der Verhältnismäßigkeit eines Totalverbots wird auch klar, warum ein gesetzliches Zugangsverbot Minderjähriger etwa bei Pornoplattformen im Vergleich zu Social Media-Angeboten als eher verhältnismäßig erscheint: Der absolute Großteil der Inhalte bei Social Media-Angeboten ist mit Blick auf die Entwicklung von Minderjährigen harmlos oder gar vorteilhaft, während die Mehrheit der Inhalte bei pornografischen Angeboten insbesondere bei Jüngeren zu Beeinträchtigungen ihrer sexuellen Entwicklung, sexuellen Identität und ihrer sozialethischen Orientierung führen können.

Insgesamt erscheint ein gesetzliches Verbot ganzer Plattformen, deren Inhalte zu großen Teilen keine Jugendschutzrelevanz besitzen, für Minderjährige auf zahlreiche Hürden zu treffen. Das betrifft die Frage der Möglichkeit nationaler Regelungen für Online-Plattformen überhaupt, den konkreten Anwendungsbereich, die Geltung für Angebote aus anderen EU-Mitgliedstaaten und die Verhältnismäßigkeit, vor allem mit Blick auf die ungesättigte empirische Grundlage von Wirkungen der Social Media-Nutzung einerseits und der Effektivität von Social Media-Bans andererseits.

Hürden bei dem Erlass einer europäischen Regelung

Wenn der Erlass einer nationalen gesetzlichen Regelung für ein Zugangsverbot Unter-16-Jähriger zu Social Media-Angeboten so schwierig ist, könnte alternativ der EU-Gesetzgeber tätig werden? In den Diskussionen wird teilweise gefordert, das „Problem“ auf europäischer Ebene zu lösen; in diese Richtung gehen etwa Forderungen aus Belgien oder Dänemark (vgl. https://www.euractiv.com/section/tech/news/exclusive-copenhagen-eyes-social-media-ban-for-children-over-data-harvesting-fears/).

Und in der Tat: Die oben beschriebene Problematik des möglichen Anwendungsvorrangs stellte sich bei einer europäischen Norm – etwa im Rahmen einer EU-Verordnung – nicht, auch die Hürde des Herkunftslandprinzips wäre umschifft. Es blieben aber auch auf dieser Ebene die Probleme des schwierig abzusteckenden Anwendungsbereichs und die grundsätzliche Frage der Verhältnismäßigkeit. An der schwachen empirischen Evidenz ändert sich durch eine Verlagerung der Gesetzgebung in Richtung EU-Parlament und Rat nichts.

Fazit der Kurzanalyse

Statt pauschaler Verbote – wie teils in der Politik gefordert – sollte angesichts der rechtlichen, umsetzungsbezogenen und faktischen Hindernisse eher der bereits im DSA angelegte risikobasierte Ansatz konsequent umgesetzt werden. Strukturelle Vorsorgemaßnahmen, Medienkompetenzförderung und altersgerechte Gestaltung der Plattformen können die staatlichen Schutzziele erreichen, ohne die fundamentalen Rechte von Kindern und Jugendlichen zu verletzen.

Mit Blick auf die zahlreichen und signifikanten Hürden erscheint ein Social Media-Verbot vor allem als rechtspolitische (Schein-)Maßnahme, die an der komplexen Realität digitaler Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen vorbeigeht und mehr rechtliche und faktische Probleme schafft als löst. Die wissenschaftliche Debatte ist hier viel weiter: Risikobasierte Ansätze, nicht pauschale Verbote, sind der angemessene Weg für zeitgemäßen Schutz und kinderrechtsgewährleistender Befähigung und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen im digitalen Raum.

Foto: KI generiertes Symbolbild einer Straße mit vielen Hürden

Veröffentlicht am: 16.06.2025

Forschungsprogramm:

FP 3 Wissen für die Mediengesellschaft

Kompetenzbereich:

Kompetenzbereich Aufwachsen in digitalen Medienumgebungen

Beteiligte Personen:

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