Figurationstheoretische und empirische Annäherungen an Kommunikative KI-Systeme in der medienpädagogischen Sozialisationsforschung

Der Beitrag von Dr. Claudia Lampert, Dr. Katrin Kreutz und Prof. Dr. Rudolf Kammerl erläutert, inwiefern kommunikative KI bereits in der medienpädagogischen Sozialisationsforschung berücksichtigt wird und welche Bedeutung ihr von Heranwachsenden und Eltern für den Sozialisationsprozess zugeschrieben wird. Er basiert auf empirischen Ergebnissen des qualitativen und längsschnittlichen DFG-Projekts „Connected Kids – Sozialisation in einer sich wandelnden Medienumgebung (ConKids)“.

Fazit

Die Auswertung der Interviews im Rahmen der ConKids-Studie zeigt, dass kommunikative KI bereits in verschiedenen Formen Einzug in den medialen Alltag von Kindern und Jugendlichen gehalten hat. Die Aussagen der befragten Kinder, Jugendlichen und Eltern lassen sich vier zentralen Themenbereichen zuordnen:

  1. der Nutzung algorithmischer Empfehlungen und automatisierter Rückmeldungen in sozialen Medien und bei Streamingdiensten,
  2. der Nutzung von Sprachassistenten (z. B. Siri, Google Assistant),
  3. dem Einsatz von SmartSpeakern im familiären Kontext sowie
  4. der Interaktion mit dialogorientierten KI-Systemen wie ChatGPT, die in der vierten Erhebungswelle in 2023 erstmals Erwähnung fanden.

Die Beispiele zeigen sehr deutlich, dass die KI-Anwendungen je nach Alter und Haltung der Eltern sehr unterschiedlich in die Medienrepertoires der Kinder und Jugendlichen aufgenommen wurden.

Sozialisations- und figurationstheoretische Perspektive

Aus sozialisationstheoretischer Perspektive zeichnet sich ab, dass KI-Systeme zunehmend bedeutsam für Sozialisationsprozesse werden, indem sie mediale Praktiken, (informelle) Bildungs- und Entwicklungsprozesse sowie die Weltaneignung von Heranwachsenden beeinflussen. Figurationstheoretisch betrachtet ergeben sich neue Konstellationen im Verhältnis zwischen Kindern, Jugendlichen, Eltern und digitalen Technologien, in denen algorithmische Systeme nicht als Medien, sondern teilweise als Kommunikationspartner fungieren. Einerseits wird in verschiedenen Interviewpassagen deutlich, dass kommunikativer KI von den Nutzenden teilweise Agency zugeschrieben wird und partiell eine Anthropomorphisierung stattfindet. Andererseits werden aber auch generationenübergreifende Unklarheiten über das Ausmaß der Fähigkeiten und die Eigenständigkeit kommunikativer KI sichtbar, die sich z. B. in den Sorgen und Datenschutzbedenken von Kindern, Jugendlichen und Eltern widerspiegeln oder sich aus qualitativ unzufriedenstellenden Interaktionserfahrungen (z. B. fehlende oder gestörte Funktionalität, Halluzinationen) speisen. Diese führen eher zu Abgrenzung und Distanzierung gegenüber KI und stehen einer Symbiose bzw. einer Verbindung hin zu hybriden Figurationen in Teilen entgegen. Würde man von hybriden Figurationen sprechen wollen, müssten sowohl qualitative als auch quantitative Weiterentwicklungen zu verzeichnen sein, etwa indem in der familialen Interaktion von den Kommunikationspartner*innen immer weniger unterschieden wird, ob eine Mitteilung von einem Familienmitglied, von einem KI-System erfolgt oder ob es sich um eine Mitteilung handelt, die von einem Menschen mithilfe von KI-Systemen erstellt wurde (und umgekehrt). Zum Erhebungszeitraum scheinen kommunikative KI-Systeme eher als klar abgrenzbare Black Boxes wahrgenommen zu werden. Mit der zunehmenden Integration von KI-Systemen in zentrale Internetdienste wie Suchmaschinen, Social-Media-Plattformen, Messenger und Office-Anwendungen könnte sich die Wahrnehmung verschieben.

Ausblick

Für die Sozialisationsforschung erwächst hieraus die Notwendigkeit, die Interdependenzen zwischen kommunikativen Figurationen und KI-gestützten Systemen künftig systematischer zu erfassen. Hierzu bedarf es neuer interdisziplinärer Ansätze, Zugänge und Methoden, die geeignet sind, sowohl die Kommunikation als auch die dahinterliegenden (Sprach-)Modelle zu erfassen und besser zu verstehen. In diesem Zusammenhang gilt es zu berücksichtigen, dass die Erfahrungen und Vorstellungen über KI maßgeblich durch die Produkte der großen Internetkonzerne geprägt werden. Damit ist (bislang) nur ein Teil von KI-Anwendungen in der Lebenswelt angekommen, nämlich in erster Linie algorithmenbasierte Empfehlungssysteme und Sprachmodelle (LLMs). Dies hat wiederum zur Folge, dass Heranwachsende «Künstliche Intelligenz» (fälschlicherweise) mit diesen kommunikativen KI-Produkten gleichsetzen, während andere Anwendungsbereiche maschinellen Lernens, die etwa in Wirtschaft und Forschung zunehmend Verbreitung finden, außerhalb ihrer Erfahrungswelt bleiben. Gesellschaftlich organisierte Bildungsprozesse müssen einerseits bestehende Fehlvorstellungen, z. B. anthropomorphisierende Deutungsmuster, reflektieren und bearbeiten. Andererseits gilt es, die Interaktionserfahrungen mit kommunikativer KI in ein zu erweiterndes Verständnis über KI-Systeme einzuordnen. Darüber hinaus sind aus medienpädagogischer Sicht die Rahmenbedingungen und Geschäftsmodelle der bei Kindern und Jugendlichen beliebten Internetkonzerne in den Blick zu nehmen, bei denen die Anwender*innen mit ihren Daten erst kommunikative KI ermöglichen.

Kreutz, K.; Kammerl, R.; Lampert, C. (2025): Figurationstheoretische und empirische Annäherungen an Kommunikative KI-Systeme in der medienpädagogischen Sozialisationsforschung. In: MedienPädagogik (Jahrbuch Medienpädagogik 22), 83–101. https://www.medienpaed.com/article/view/2220/1578.

Überblick

Autoren

Erscheinungsdatum

03.12.2025

Art der Publikation

  • sonstige Publikation

Projektbezug:

Sozialisation in einer sich wandelnden Medienumgebung

Forschungsprogramm:

FP 3 Wissen für die Mediengesellschaft

Kompetenzbereich:

Kompetenzbereich Aufwachsen in digitalen Medienumgebungen

Beteiligte Personen:

Newsletter

Infos über aktuelle Projekte, Veranstaltungen und Publikationen des Instituts.

Jetzt abonnieren