Hamburg, 14.06.2023. Das Interesse an Nachrichten ist 2023 weiter gesunken. 52 Prozent der erwachsenen Internetnutzenden in Deutschland sagen, dass sie äußerst oder sehr an Nachrichten interessiert sind (2022: 57 %). Auch die Reichweite von Nachrichten insgesamt ist in der Langzeitbetrachtung leicht rückläufig. 89 Prozent der erwachsenen Internetnutzenden in Deutschland lesen, hören oder schauen mehr als einmal pro Woche Nachrichten (2022: 92 %). Die Tendenz zur Nachrichtenvermeidung ist 2023 ebenso hoch wie im Vorjahr. Jeder Zehnte versucht oftmals aktiv, Nachrichten zu vermeiden, 65 Prozent versuchen dies zumindest gelegentlich. Derzeit werden vor allem Nachrichten zum Ukraine-Krieg gemieden. Gleichzeitig gibt mehr als die Hälfte der Befragten an, äußerst oder sehr an positiven oder lösungsorientierten Nachrichten interessiert zu sein.
Das sind Ergebnisse des Reuters Institute Digital News Report 2023, dessen deutsche Teilstudie vom Leibniz-Institut für Medienforschung in Hamburg durchgeführt wurde. Insgesamt basiert die Studie auf 93.895 Befragten aus 46 Ländern auf sechs Kontinenten. Die Befragung wurde im Januar 2023 durchgeführt
Studie zum Download: Behre, Julia; Hölig, Sascha; Möller, Judith (2023): Reuters Institute Digital News Report 2023 – Ergebnisse für Deutschland. Hamburg: Verlag Hans-Bredow-Institut, Juni 2023 (Arbeitspapiere des Hans-Bredow-Instituts | Projektergebnisse Nr. 67), https://doi.org/10.21241/ssoar.86851
Nachrichtenvermeidung bleibt auf hohem Niveau
Die Tendenz zur Nachrichtenvermeidung bleibt stabil, nachdem es in den vergangenen Jahren zu deutlichen Anstiegen gekommen war. Wie bereits im Vorjahr versucht 2023 jeder zehnte Internetnutzende im Alter ab 18 Jahren oftmals aktiv, die Nachrichten zu vermeiden; 65 Prozent versuchen dies mindestens gelegentlich. 29 Prozent der Befragten, die zumindest gelegentlich Nachrichten vermeiden, gehen gezielt bestimmten Themen aus dem Weg. Am häufigsten werden Nachrichten zum Ukraine-Krieg gemieden, gefolgt von Nachrichten zum Thema Unterhaltung bzw. Prominente, Gesundheit und Sport. Während ältere Befragte ab 55 Jahren etwas häufiger angeben, dass sie gezielt bestimmten Nachrichtenthemen aus dem Weg gehen, greifen 18- bis 24-Jährige in der Tendenz grundsätzlich seltener auf Nachrichten zu oder priorisieren Aktivitäten, die nichts mit Nachrichten zu tun haben.
Gleichzeitig ist mehr als die Hälfte (58 %) der erwachsenen Internetnutzenden in Deutschland äußerst oder sehr an positiven Nachrichten interessiert. Ein ebenfalls hohes Interesse wird an Nachrichten geäußert, die Lösungen vorschlagen, anstatt nur auf Probleme hinzuweisen (53 %), sowie an Nachrichten, die dabei helfen, komplexe Themen zu verstehen (50 %).
Vertrauen in Nachrichten geht weiter zurück
43 Prozent der erwachsenen Internetnutzenden in Deutschland sind der Ansicht, man könne dem Großteil der Nachrichten in der Regel vertrauen. Das sind sieben Prozentpunkte weniger als 2022 (50 %) und so wenig Befragte wie nie zuvor, seitdem die Frage 2015 erstmals in den Reuters Institute Digital News Survey aufgenommen wurde. Auch das Vertrauen, das ausgewählten bekannten Nachrichtenmarken entgegengebracht wird, ist im Vergleich zum Vorjahr leicht rückläufig.
Gleichzeitig sieht oder hört gut ein Drittel (34 %) der Internetnutzenden ab 18 Jahren häufig davon, dass Journalistinnen und Journalisten oder die Nachrichtenmedien in Deutschland kritisiert werden. Befragte, die sich selbst eher am rechten oder linken Rand des politischen Spektrums verorten, kommen anteilig häufiger mit derartiger Medienkritik in Kontakt (47 % bzw. 48 %) als jene in der politischen Mitte (34 %).
Hohes Vertrauen in öffentlich-rechtliche Nachrichten, aber geringere Relevanz für Jüngere
Die Hauptnachrichten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten „Tagesschau“ und „heute“ sind auch im Jahr 2023 die beiden Angebote mit den höchsten Vertrauenswerten unter den ausgewählten Marken, die den Befragten bekannt sind. Zudem sagen insgesamt 47 Prozent der erwachsenen Internetnutzenden in Deutschland, dass öffentlich finanzierte Nachrichtenmedien wie die ARD und das ZDF für sie persönlich wichtig sind, und 52 Prozent erachten diese als wichtig für die Gesellschaft. Insgesamt schreiben Befragte im Alter ab 55 Jahren den öffentlich-rechtlichen Nachrichtenmedien eine deutlich höhere persönliche und gesellschaftliche Relevanz zu als jüngere Befragte. So ist mehr als ein Drittel (35 %) der 18- bis 24-Jährigen unentschlossen hinsichtlich der Frage, ob öffentlich finanzierte Nachrichtenmedien wichtig oder unwichtig für die Gesellschaft sind.
Traditionelle Nachrichtenanbieter dominieren Nutzung im Internet; Bedeutung sozialer Medien als Hauptnachrichtenquelle nimmt zu
Um sich über aktuelle lokale, nationale oder internationale Ereignisse zu informieren, verwenden die meisten erwachsenen Internetnutzenden in Deutschland 2023 das Internet. 63 Prozent nutzen mindestens einmal pro Woche Online-Nachrichten auf den Websites oder Apps von Nachrichtenanbietern oder in sozialen Medien (2022: 68 %). Nachrichtensendungen im linearen Fernsehen sehen 59 Prozent der Befragten in einer normalen Woche (2022: 65 %). Im Vergleich zum Vorjahr ist sowohl die wöchentliche Nutzung von Nachrichtenangeboten im Fernsehen, Radio und Printbereich als auch im Internet leicht zurückgegangen. Insgesamt wird die Nachrichtennutzung im Internet von traditionellen Nachrichtenanbietern aus TV, Radio und Print dominiert. 43 Prozent lesen, schauen oder hören regelmäßig die Inhalte etablierter Nachrichten; bei den 18- bis 24-Jährigen sind es 46 Prozent. Für 44 Prozent in dieser Altersgruppe sind soziale Medien eine regelmäßige Quelle für Nachrichten; das sind elf Prozentpunkte weniger als noch 2022.
Die wichtigste Nachrichtenquelle ist für 43 Prozent der erwachsenen Internetnutzenden weiterhin das lineare Fernsehen und für 39 Prozent sind es Nachrichtenangebote im Internet. 14 Prozent finden Nachrichten hauptsächlich in den sozialen Medien; dieser Anteil ist im Langzeitverlauf kontinuierlich angestiegen und mit 35 Prozent unter den 18- bis 24-Jährigen am größten. Für 15 Prozent der 18- bis 24-Jährigen stellen soziale Medien zudem die einzige Quelle für Nachrichten dar.
TikTok gewinnt leicht an Reichweite
Die meisten sozialen Netzwerkplattformen haben in den jüngsten Jahren an Reichweite verloren. Lediglich TikTok kann einen leichten Reichweitenanstieg verzeichnen und wird 2023 von zwölf Prozent der erwachsenen Onliner mindestens einmal pro Woche zu einem beliebigen Zweck genutzt; insgesamt bleiben WhatsApp, YouTube und Facebook jedoch die meistgenutzten sozialen Medien. Diese drei Plattformen sind zudem die Angebote in dieser Kategorie, die von den meisten erwachsenen Internetnutzenden regelmäßig verwendet werden, um Nachrichten zu suchen, zu lesen, anzuschauen, zu teilen oder um darüber zu diskutieren (WhatsApp 14 %, YouTube 16 %, Facebook 14 %). Nachrichteninhalte auf Instagram erreichen in einer normalen Woche 22 Prozent der 18- bis 24-Jährigen, gefolgt von YouTube mit 15 Prozent und TikTok mit neun Prozent.
Skepsis gegenüber Personalisierung von Nachrichten durch Algorithmen
Die klassische Auswahl von Nachrichten durch journalistische Akteure erachten insgesamt 29 Prozent der erwachsenen Internetnutzenden in Deutschland als einen guten Weg, um Nachrichten zu erhalten, während 27 Prozent die automatische Auswahl von Berichten auf der Grundlage der von den Befragten früher abgerufenen Informationen als eine gute Möglichkeit bewerten. Die automatische Auswahl von Nachrichten auf Grundlage der von Freunden abgerufenen Informationen lehnen 40 Prozent der Befragten tendenziell ab.
Darüber hinaus sind 37 Prozent der erwachsenen Internetnutzenden in Deutschland besorgt, dass sie aufgrund stärker personalisierter Nachrichten andere wichtige Informationen verpassen könnten. 36 Prozent äußern die Sorge, eventuell gegensätzliche Meinungen zu verpassen. Als Reaktion auf algorithmische Personalisierung versucht knapp die Hälfte (49 %) der Befragten zumindest gelegentlich zu verändern, welche Nachrichten und Informationen sie auf Online-Plattformen sieht, indem sie etwa bestimmte Accounts blockiert oder stumm schaltet. Der meistgenannte Grund hierfür ist der Wunsch nach verlässlicheren Inhalten sowie nach vielfältigeren Perspektiven und Ansichten.
Zahlbereitschaft für Online-Nachrichten stagniert
Nachdem sich im Vorjahr noch ein positiver Trend beim Bezahlen für Online-Nachrichten andeutete, ist dieser 2023 wieder leicht abgeschwächt. Elf Prozent der Befragten geben an, für digitale Nachrichten Geld ausgegeben zu haben (2022: 14 %). Eine fortlaufende Zahlung in Form eines Abonnements bzw. einer Mitgliedschaft ist dabei das am häufigsten gewählte Bezahlmodell. Befragte, die auf diese Weise für Online-Nachrichten bezahlen, wollen mit dem Geld vor allem guten Journalismus unterstützen oder verweisen auf ein gutes Angebot bzw. Probeabo. Die meistgenannten ausschlaggebenden Gründe, um eventuell zukünftig für Online-Nachrichten zu bezahlen, sind günstigere Preise sowie weniger oder gar keine Werbung.
Online-Partizipation gering
Nach wie vor beteiligt sich nur ein geringer Anteil der Befragten aktiv an der Nachrichtenberichterstattung in sozialen Medien. 14 Prozent der erwachsenen Internetnutzenden liken regelmäßig Nachrichtenbeiträge und jeweils acht Prozent teilen und kommentieren sie dort. Weitere 18 Prozent lesen regelmäßig Nutzerkommentare in sozialen Medien. In der Tendenz sind die aktiv partizipierenden Teile in der jungen Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen etwas größer als im Durchschnitt der Bevölkerung. Zudem lässt sich erneut beobachten, dass Internetnutzende, die sich selbst im linken oder rechten Teil des politischen Spektrums verorten, anteilig häufiger mit Nachrichteninhalten interagieren als Nutzende in der politischen Mitte.
Zwölf Prozent der erwachsenen Internetnutzenden in Deutschland haben überwiegend negative Erfahrungen mit Interaktionen in Bezug auf Online-Nachrichten oder in sozialen Medien gemacht. Die Mehrheit (42 %) würde ihre Erfahrungen mit Online-Partizipation aber als weder positiv noch negativ beschreiben.
Jenseits der aktiven Teilhabe an der Nachrichtenberichterstattung wurde in diesem Jahr untersucht, wie die Befragten den politischen Diskurs im Internet und abseits davon wahrnehmen. Dabei sind 46 Prozent der Befragten der Ansicht, dass sie vorsichtig mit dem sein müssten, was sie online über Politik sagen. In Gesprächen über Politik jenseits des Internets, etwa in persönlichen Gesprächen oder am Telefon, hat rund ein Drittel (34 %) das Gefühl, mit den eigenen Aussagen aufpassen zu müssen.
Informationen zur Studie
Seit 2012 untersucht der Reuters Institute Digital News Survey jährlich über Repräsentativbefragungen in mittlerweile 46 Ländern generelle Trends und nationale Besonderheiten der Nachrichtennutzung. Welche Arten von Nachrichten sind von Interesse; welche Wege werden genutzt, um diese zu finden; welchen Anbietern wird vertraut und welche Standpunkte vertreten Menschen hinsichtlich der Nachrichtenmedien?
Die Studie 2023 wurde unter Koordination des in Oxford (UK) ansässigen Reuters Institute for the Study of Journalism zeitgleich in folgenden Ländern realisiert: Argentinien (eingeschränkte Repräsentativität der Stichprobe), Australien, Belgien, Brasilien (eingeschränkte Repräsentativität der Stichprobe), Bulgarien, Chile (eingeschränkte Repräsentativität der Stichprobe), Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland (eingeschränkte Repräsentativität der Stichprobe), Großbritannien, Hongkong, Indien (eingeschränkte Repräsentativität der Stichprobe), Indonesien, Irland, Italien, Japan, Kanada, Kenia (eingeschränkte Repräsentativität der Stichprobe), Kolumbien, Kroatien, Malaysia (eingeschränkte Repräsentativität der Stichprobe), Mexiko (eingeschränkte Repräsentativität der Stichprobe), Niederlande, Nigeria (eingeschränkte Repräsentativität der Stichprobe), Norwegen, Österreich, Peru, Philippinen (eingeschränkte Repräsentativität der Stichprobe), Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Schweiz, Singapur, Slowakei, Spanien, Südafrika (eingeschränkte Repräsentativität der Stichprobe), Südkorea, Taiwan, Thailand, Tschechien, Türkei (eingeschränkte Repräsentativität der Stichprobe), Ungarn und in den USA, um generelle Trends, aber auch nationale Besonderheiten erkennen zu können. Pro Land wurden 2023 rund 2.000 Personen befragt. Insgesamt basiert die Studie in der elften Wiederholung auf den Antworten von 93.895 Befragten aus 46 Ländern auf sechs Kontinenten.
Die Feldarbeit wurde zwischen dem 10. und dem 31. Januar 2023 vom Umfrageinstitut YouGov durchgeführt, das auf der Basis von Online-Access-Panels Stichproben zog, die für Internetnutzende der beteiligten Länder ab 18 Jahren repräsentativ sind. Die vorgelegten Resultate sind somit repräsentativ für die deutsche Bevölkerung im Alter ab 18 Jahren mit Internetzugang im Jahr 2023.
Das Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut ist seit 2013 als Kooperationspartner für die deutsche Teilstudie verantwortlich; die Erhebung im Jahr 2023 wurde dabei von den Landesmedienanstalten und dem Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) unterstützt.
Der vollständige Bericht mit allen internationalen Befunden wurde am 14. Juni 2023 in London der Öffentlichkeit vorgestellt und über die Website des HBI verfügbar gemacht.
Weitere Informationen zur Studie finden Sie hier: https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/ (Englisch) und auf der Projektseite des HBI www.leibniz-hbi.de (Deutsch).
Kontakt
Julia Behre, j.behre@leibniz-hbi.de
Informationen zum Reuters Institute for the Study of Journalism
Das Institut wurde 2006 von der Thomson Reuters Foundation gegründet; es ist angesiedelt am Department of Politics and International Relations an der University of Oxford. Das Institut ist ein international aktives Forschungszentrum für vergleichende Journalismusforschung, das in seiner Forschung eine globale Perspektive verfolgt und Forscherinnen und Forschern unterschiedlichster Disziplinen ein Forum bietet, um mit Journalistinnen und Journalisten aus aller Welt zusammenzukommen. Mehr unter http://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/.
Informationen zum Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI)
Das Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut erforscht den Medienwandel und die damit verbundenen strukturellen Veränderungen öffentlicher Kommunikation. Medienübergreifend, interdisziplinär und unabhängig verbindet es Grundlagenwissenschaft und Transferforschung und schafft so problemrelevantes Wissen für Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Im Jahr 2019 wurde das Institut in die Leibniz-Gemeinschaft aufgenommen. Mehr unter https://leibniz-hbi.de.
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