Welche aktuellen Entwicklungen sind in der globalen Plattform-Governance zu verzeichnen? Dieser Frage ging das Digitalisation Research and Network Meeting (DigiMeet), organisiert vom Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation (bidt), dem Center for Advanced Internet Studies (CAIS), dem Weizenbaum-Instituts (WI) und dem HBI, am 6. November 2025 nach. Der thematische Schwerpunkt lag auf zugrunde liegenden Machtverhältnissen, gesellschaftlichen Auswirkungen und technologischen Fortschritten, die unseren politischen Diskurs prägen.
Nach einem inhaltlichen Auftakt von Dr. Tobias Mast (HBI) zum Thema Machtverhältnisse, Zuständigkeiten und Risiken in der Plattform-Governance widmeten sich 60 Promovierende und Postdoktorand*innen der beteiligten Einrichtungen sowie weitere Nachwuchsforschende aus verschiedenen Disziplinen und Herkunftsländern dem Thema „Platform Governance & Power: Between Control, Ethics and Societal Dynamics“. Vier Sessions mit insgesamt 16 Vorträgen fanden statt.
Track 1 a: Platform regulation and community building – Regulatory frameworks
In dieser Sitzung wurden die Herausforderungen bei der Regulierung von Social-Media-Plattformen diskutiert.
Tamás Pongó (Ungarn) sprach in seinem Vortrag „The Human Rights Responsibility of Social Media Platforms – Meta and the Oversight Board” über das Meta Oversight Board (MOB) und dessen Einhaltung der Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte, insbesondere der Kriterien für Beschwerdemechanismen: Transparenz, Zugänglichkeit und Verfügbarkeit. Er betont, dass Meta die einzige Plattform ist, die ein solches Aufsichtsgremium eingerichtet hat. Seine Ergebnisse deuten darauf hin, dass das MOB die Kriterien nicht erfüllt, nicht zugänglich ist, sich negativ auf die Transparenz auswirkt und nicht vorhersehbar ist. Am wichtigsten ist, dass die Fälle strategisch ausgewählt werden.
Sophia Salziger (Niederlande) diskutierte in ihrem Vortrag „Balancing Democratic Values and Accountability Within the CJEU’s Civil Liability Regime for Non-Material Damage under Article 82 GDPR” Artikel 82 DSGVO, das Recht auf Entschädigung und Haftung für immaterielle Schäden. Während „immaterieller Schaden“ weit gefasst ist und „geringfügige“ Schäden sowie mögliche zukünftige Schäden umfasst, hat das Entschädigungssystem keine strafende oder präventive Funktion, was Artikel 82 weniger wirksam macht.
Vincent Heimburg et al. (Deutschland und Österreich) fanden in ihrem Vortrag „The Gatekeeper’s Gambit: How Platforms Strategically Adapt to the Digital Markets Act (DMA)“ drei Muster in dieser Strategie: formale Einhaltung; strategische Eindämmung; langwieriges Engagement, Untergrabung und Widerstand. Vor allem untergraben Plattformen die Ziele des DMA, indem sie regulatorische Unklarheiten („offene Rechtslage“) ausnutzen.
Sophia Graf (Deutschland) verglich in ihrem Vortrag „Governing Synthetic Non-Consensual Intimate Imagery on Major Adult Platforms in the EU” drei Plattformen für Erwachsene, die gemäß dem Digital Services Act (DSA) als VLOPs gelten. Ihre Ergebnisse zeigen, dass diese Plattformen große Unterschiede bei der Definition und dem Verbot von nicht einvernehmlichen intimen Bildern (NCII) und anderen schädlichen Inhalten auf ihren Websites aufweisen.
Track 2a: Platforms as shapers and instruments of governance – Opportunities and challenges of AI
In dieser Session wurde die Rolle der künstlichen Intelligenz für die Nutzung und Wirkung digitaler Plattformen diskutiert.
Adrian Schadl (Deutschland) sprach in seinem Vortrag „Generative AI as the New Complementor: Transforming Power Relations and Innovation Governance in Platforms” darüber, wie generative KI auf Plattformen eingesetzt wird und wie sie die Wechselbeziehungen zwischen Plattformbetreibern und Komplementären verändern könnte. Ein Ergebnis seiner empirischen Studie ist, dass der Einsatz generativer KI zu Machtasymmetrien (zugunsten der Plattformbetreiber) beiträgt.
Bárbara Maria Farias Mota (Deutschland) präsentierte in ihrem Vortrag „The AI Media Divide: How Global North and South News Frame Risk and Promise” eine vergleichende Analyse von mehreren tausend Zeitungsartikeln zum Thema KI aus Ländern des Globalen Nordens im Vergleich zu denen aus Ländern des Globalen Südens.
Nils Riekers et al. (Deutschland, Australien) schlugen in ihrem Vortrag „Explainable Decision-Making for Hate Speech Moderation via AI Multi-Agent Systems” den Einsatz von KI als Lösung für das Problem vor, dass das Erkennen/Kennzeichnen von Hassreden nach wie vor eine schwierige Aufgabe ist, die immer noch menschliches Eingreifen erfordert. Die vorgeschlagene Lösung besteht in einer Multi-Agenten-Systemarchitektur mit einem Human-in-the-Loop-Regelwerk, das zu einer „erklärbar-by-design” Schnittstelle führt.
Maurice Stenzel (Deutschland) stellte in seinem Vortrag „Governing Moderation through Codes of Conduct: Co-Creating a Soft Law Framework for Platform Governance” einen neuen Verhaltenskodex für die Mensch-Maschine-Entscheidungsfindung bei der Moderation von Inhalten vor. Dieser Code of Conduct enthält Empfehlungen zu verschiedenen Aspekten der Plattform-Governance und -Moderation, wie z. B. dem Grad der Automatisierung, menschlicher Schnittstellen für den Support, Datenschutz, Fairness und Nichtdiskriminierung oder Schulungen für Moderatoren. Der Code of Conduct ist öffentlich zugänglich unter Strengthening Trust.
Track 1b: Platform regulation and community building – Networks and discourses
In der Session wurde deutlich, wie sehr Plattformen heute politische Kommunikation, Wahrheitssicherung, Aktivismus und Gewaltvermittlung prägen.
Marcus Bösch (Deutschland) zeigte in seinem Vortrag „Vibes, TikTok Edits, and Audio Memes: Participatory Propaganda in the 2025 German Federal Election Campaign” anhand der Bundestagswahl 2025, wie TikTok durch Edits, Memes und Audio-Snippets zu einem zentralen Ort „partizipativer Propaganda“ wurde. Besonders die AfD profitierte von Fan-Edits und Remix-Kulturen, die die spezifischen Affordanzen der Plattform nutzen und zu einer Form der „dark participation“ beitragen.
Regina Cazzamatta (Deutschland) analysierte in ihrem Vortrag „From Moderation to Chaos: Meta’s Fact-Checking Fallout – A Win for Free Speech or a Loss for Truth?” die Folgen von Metas Rückzug aus etablierten Fact-Checking-Programmen. Ihre Befunde zeigen: Je nach Land entstehen Unsicherheiten, Machtverschiebungen und Risiken – in der EU wegen strengerer Regelungen, in Lateinamerika wegen fehlender regulatorischer Rahmen. Zugleich wächst die Sorge vor politischer Instrumentalisierung von Korrekturmechanismen wie Community Notes und vor ökonomischen Einbußen durch Moderationsentscheidungen.
Lama Ranjous (Deutschland) bettete in ihrem Vortrag „Social Media Platforms: From Carriers of Activism to Documenting and Mediating Violence in Syria” Social Media in den Kontext des syrischen Konflikts ein und zeigte, wie Plattformen erst zu Orten des Aktivismus wurden, dann aber zunehmend zur Dokumentations- und Gewaltmedien-Infrastruktur. Sie dienen heute sowohl der Aufklärung als auch der Propaganda, psychologischer Kriegsführung und Rekrutierung, was besonders für Überlebende problematisch ist – erst recht mit Blick auf KI-gestützte Manipulation und Deepfakes.
Philipp Riederle (UK) stellte in seinem Vortrag „Digital Platform Interoperability – Strengthening User Choice, Reducing Platform Power?” die Frage nach digitaler Interoperabilität als Antwort auf Plattformmacht. Am Beispiel von Mastodon diskutierte er, wie Nutzer*innen theoretisch zwischen Instanzen wechseln können – etwa aus Gründen der Community, Governance-Präferenz oder Servicequalität –, in der Praxis aber häufig durch Überforderung, soziale Bindungen und unklare Optionen an bestimmte Plattformräume gebunden bleiben.
Track 2b: Platforms as shapers and instruments of governance – Platforms as governance facilitators
In dieser Session ging es um die entscheidende Rolle von Plattformen als Gestalter des öffentlichen Diskurses und als Instrumente für staatliches Handeln, beispielsweise bei der Kommunikation, Mobilisierung und Ressourcenzuteilung in Krisensituationen.
Richard Uth et al. (Deutschland) präsentierten in ihrem Vortrag „AI decides on our health – How Interactivity, Autonomy, and Decision Focus Shape User Responses” ihre Forschung zur Einführung von Systemen künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen und der Frage, wie vertrauenswürdige mHealth-Plattformen gestaltet sein müssen. In ihrer Untersuchung der Interaktion von Test-Patient*innen mit KI-gestützten Chatbots fanden sie heraus, dass solche Unterstützungssysteme akzeptiert werden können, wenn sie die individuelle Autonomie der Patient*innen wahren.
Frederike Eulitz et al. (Deutschland) stellten im Vortrag „How Online Labor Markets Shape Participation Through Governance: Evidence from Upwork“ ihre Untersuchungsergebnisse zur Gestaltung von Arbeitsbedingungen für Freelancer auf der Plattform “UpWork” vor. In ihrer Studie können sie nachweisen, dass eine geänderte Gebührenordnung der Plattform kein wirksames Incentive darstellt, um die Häufigkeit der Interaktion von Freelancern mit bestimmten Klienten zu erhöhen.
Beltsazar Krisetya (UK) referierte zum Thema „Supporting Procedures, Avoiding Politics: Platform (Dis)Engagement in Indonesia’s 2024 Election”. Sie untersucht anhand des Beispiels der Wahl 2024 in Indonesien, wie sich Praktiken der Inhaltsmoderation in Zeiten politischer Krisen verändern. Die von ihm erhobenen Daten sollen Verantwortlichkeiten, Moderationshebel, Interaktionen zwischen Stakeholdern und nachvollziehbare Prozesse erklären.
Timon Sengewald (Deutschland) ging in seinem Vortrag „Empowering Municipal Resilience: Digital Platforms for Citizen-Driven Innovation in Crisis Management” der Frage nach, wie eine digitale Plattform aussehen sollte, die bürgergetriebene Innovation unterstützen und die (digitale) Resilienz von Städten stärken kann. Er entwickelt im Rahmen seines Projekts eine Plattform für Bürger*innen, die mithilfe von KI kommunale Akteure vernetzt.
Über das DigiMeet
Das Digitalisation Research and Network Meeting (DigiMeet) ist eine gemeinsame Veranstaltung des bidt, des Center for Advanced Internet Studies (CAIS), des Leibniz-Instituts für Medienforschung – Hans-Bredow-Institut (HBI) sowie des Weizenbaum-Instituts (WI). Das Format richtet sich an Promovierende und Postdocs aus der Digitalisierungsforschung und bietet ihnen die Möglichkeit, eigene Arbeiten zu präsentieren, sich zu vernetzen und Impulse für neue Kooperationen zu gewinnen.