Die Ergebnisse der qualitativen Studie von Kira Thiel und Dr. Claudia Lampert geben wertvolle Hinweise darauf, wie Jugendliche mit belastenden Online-Erfahrungen umgehen und an welchen Stellen sie Unterstützung brauchen. Aus medienpädagogischer Perspektive sind vor allem solche Ansätze zu befürworten, die Jugendliche für ihre Rechte im digitalen Raum sensibilisieren, ihr Unrechtsbewusstsein schärfen und ihre Selbstbehauptung stärken. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf sexuelle Grenzverletzungen, aber auch mit Blick auf das Thema Zivilcourage im digitalen Raum.
Die Studie ist Teil des BMBF-Projekts „Sicherheit von Kindern in der digitalen Welt (SIKID)”. Die Ergebnisse basieren auf im Sommer 2022 geführten Interviews mit 16 Jugendlichen im Alter von zwölf bis 17 Jahren.
Ergebnisse im Überblick
Jugendliche bewegen sich in vielfältigen Öffentlichkeiten, z. B. mit Mitschüler*innen in halb-öffentlichen Klassenchats, mit Online-Bekanntschaften in Multiplayer-Spielen oder mit Fremden oder Bots auf Social-Media-Plattformen.
Das Erleben von Interaktionsrisiken, wie z. B. unfreundliches und verletzendes Verhalten, sexuelle Grenzverletzungen und Übergriffe oder Cybergrooming, variiert sowohl in der Anzahl der Vorfälle als auch in der Bewertung der Situation, der Intensität der Belastung und der jeweiligen Emotion.
Aus den Aussagen der Jugendlichen konnten ereignis-, absender-, subjekt-, wahrnehmungs- sowie kontextbezogene Belastungsfaktoren identifiziert werden, die jeweils einen Einfluss auf das individuelle (Belastungs-)Erleben haben.
Bei belastenden Online-Erfahrungen wird von Kindern und Jugendlichen auf ein vielfältiges Spektrum an Handlungsweisen zurückgegriffen. Einige wenden Strategien an, die auf den Stressor gerichtet sind (z. B. technische Abwehrstrategien, passive Vermeidungsstrategien oder Konfrontation), während andere versuchen, den Stressor z. B. Kommunikationsinhalte, Personen oder Erlebnisse) zu ignorieren. Darüber hinaus finden sich in den Interviews auch Hinweise auf kognitive und emotionsregulierende Strategien (z. B. Abwertung des Stressors oder Ablenkung und Fokussierung auf etwas Positives).
Die Bewältigungsstrategien werden zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichen Kombinationen eingesetzt, je nach Situation und Belastungsgrad. Dabei können sich einzelne Strategien, wie z. B. den Chatverlauf zu löschen oder unerwünschte Bildinhalte zu entfernen, mitunter als kontraproduktiv erweisen, da sie eine strafrechtliche Verfolgung erschweren.
Im Hinblick auf die Inanspruchnahme von Unterstützungs- und Hilfsangeboten lässt sich eine Art „Unterstützungskaskade” erkennen. So wird nach dem Scheitern eigener Bewältigungsbemühungen zunächst auf die Hilfe von nahestehenden Personen wie Eltern und Freund*innen zurückgegriffen und erst wenn diese an Grenzen stoßen, die Unterstützung weiter entfernter Akteurs- und Personengruppen in Anspruch genommen.
Die Jugendlichen äußern unterschiedliche Bedarfe in Bezug auf Unterstützungsangebote. Während für einen Teil der Befragten die instrumentelle und informationelle Unterstützung (z. B. gemeinsam das Problem beheben oder einen Rat und weitere Informationen erhalten) im Vordergrund steht, wünschen sich andere vor allem eine emotionale Unterstützung.
Eine gute Unterstützung zeichnet sich aus Sicht der befragten Heranwachsenden vor allem durch wert- und vorurteilsloses Zuhören, Verschwiegenheit und das Gefühl, mit den eigenen Sorgen und Bedürfnissen ernst genommen zu werden, aus.
Jugendliche scheinen oft nicht zu wissen, welche Rechte sie im digitalen Raum haben und wie sie diese durchsetzen können (z.B. in welchen Fällen die Polizei zuständig ist).
Thiel, Kira; Lampert, Claudia (2023): Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen. Eine qualitative Studie im Rahmen des Projekts „SIKID – Sicherheit für Kinder in der digitalen Welt“. Hamburg: Verlag Hans-Bredow-Institut, Mai 2023 (Arbeitspapiere des Hans-Bredow-Instituts | Projektergebnisse Nr. 65) DOI: https://doi.org/10.21241/ssoar.86633