Nachrichten als „public good“ – Über 75 Jahre dpa auf dem Nachrichtenmarkt

Ein Dreivierteljahrhundert deutscher Mediengeschichte: Mit Im Dienst der Nachricht legt Autor Hans-Ulrich Wagner die erste wissenschaftlich fundierte und umfassende Darstellung der Geschichte der dpa vor. Seit November 2021 war der Medienhistoriker dazu tief in die Akten der Nachrichtenagentur eingestiegen. Eine „Kurzgeschichte“ liefert dieser Blog-Beitrag.

von Hans-Ulrich Wagner

Der Beitrag erschien erstmals am 6. August 2024 auf dem innovationsblog der dpa.

Für Historiker*innen ist es ein regelrechter Glücksfall: Ein Medienunternehmen wie die dpa bietet uneingeschränkten Zugang zu allen vorhandenen Dokumenten, es ermöglicht Gespräche mit Mitarbeitenden dieser Tage und in den zurückliegenden Jahren, unterstützt Recherche-Reisen zu den Quellen weiterer Archive und sichert dem Projektleiter wissenschaftliche Unabhängigkeit zu. Hinzukommt, dass Nachrichtenagenturen noch immer ein Stiefkind der mediengeschichtlichen Forschung sind. Man weiß zwar um ihre Rolle als Schlüsselinstitution im Nachrichtengeschäft, aber selten erhält man genaueren Einblick in die Arbeit des „Großhändlers“ und kann diese nachzeichnen.

Auf dieser Basis startete im November 2021 das Forschungsprojekt „Die Geschichte der dpa“ am Hamburger „Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut“. Nachrichtenagentur und Forschungsinstitut verfolgten ein gemeinsames Ziel: Zum 75. Gründungsjubiläum soll eine gründlich recherchierte, wissenschaftlich fundierte Geschichte der Arbeit dieses Unternehmens vorliegen. Gut zweieinhalb Jahre später ist diese im Societäts-Verlag erschienen: „Im Dienst der Nachricht. Die Geschichte der dpa“, 343 Seiten stark und 1.300 Gramm schwer, Hardcover, reich bebildert, ein vom Lektor Werner Irro, dem Agenten Günter Berg und dem Frankfurter Verlag aufwändig und liebevoll hergestelltes Buch.

In 13 Groß-Kapitel, 11 Streiflichtern und 10 Foto-Geschichten geht es um die Herausforderungen der dpa in der sich wandelnden Medienbranche und um die zahlreichen Bewährungsproben, die die Agentur auf dem umkämpften Nachrichtenmarkt zu bestehen hatte. Politisches Handeln, wirtschaftliches Kalkül, gesellschaftliche Veränderungen und technische Innovationen bilden die Koordinaten des Kräftefeldes. Eine wechselvolle Geschichte der dpa kam zu Tage. Die Recherchen legten die politischen Kämpfe einer Nachrichtenagentur der Nachkriegszeit offen und zeigten, wie eine Weltagentur entsteht, die der Medienbranche ein Vollsortiment an Auslands- und Inlandsdiensten anbietet. Dabei ist die Arbeit der Agentur eine Geschichte ihrer Gesellschafter und wie diese die Geschicke ihrer Nachrichtenagentur solidarisch und kritisch begleiten. War die dpa lange Zeit eine traditionelle Nachrichtenagentur für Text und Bild, so wurde aus der dpa GmbH spätestens seit den 1990er Jahren ein moderner, breit aufgestellter Medienkonzern wird, der viele Dienstleistungen um das Kerngeschäft der Nachrichten anbietet.

Medien­unternehmens­geschichte, Agentur­geschichte und Medien­geschichte

Das Buch will dreierlei: Als Medienunternehmensgeschichte soll es zeigen, wie Entscheidungen aufs engste mit politischen Entwicklungen verknüpft sind und wie die Suche nach wirtschaftlicher Stabilität die Verantwortlichen zwingt, auf Veränderungen der Medienbranche schnell zu reagieren. Als eine Agenturgeschichte will es beleuchten, wie technische Veränderungen aufgegriffen und für das Nachrichtenagenturgeschäft genutzt wurden. Als Mediengeschichte schließlich soll es zeigen, wie sich die Arbeit der dpa-Angestellten vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Veränderungen vollzieht. Die Auswertungen der Archivdokumente und vieler Zeugnisse münden so in Agenturgeschichten über Konrad Adenauers Medienpolitik und Fritz Sängers Dagegenhalten als Chefredakteur in den 1950er Jahren, über die Arbeit von dpa-Korrespondenten im Ausland sowie in der Deutschen Demokratischen Republik, über die Arbeit von Frauen in der Männerdomäne Agenturjournalismus, über Falschmeldungen in der Geschichte der dpa und dem hausinternen Umgang damit, über die Rolle von Blitz- und Eilmeldungen, über dpa-Fotos, die Geschichte schreiben, über Projektinitiativen und Gründungen von Tochterunternehmen sowie über Umzüge im geografischen Sinn und Umzüge in den Köpfen.

Das bekannteste Bild, das begegnet, ist sicherlich das vom „Wasserwerk der Demokratie“. Wolfgang Büchner prägte den Begriff als Chefredakteur der dpa im September 2010. Bei der Eröffnung des Berliner Newsroom zog er den Vergleich: „Ich sehe die dpa als eine Art Wasserwerk der Demokratie. Wir wollen unseren Kunden in ganz Deutschland sauberes Wasser aus guten Quellen liefern.“ Wieder einmal ging es darum, „Gift in Form bewusster Falschinformationen“ zu verhindern und in der dpa die „Filter und Sperren“, die „Messtechnik und Alarmpläne“ entsprechend zu justieren. Die sorgfältig recherchierte, überprüfte, Objektivitäts-Kriterien genügende Nachricht bildet den Markenkern des Unternehmens dpa und soll die Basis bilden für eine informierte Öffentlichkeit, die ihre Herausforderungen in einem demokratischen Gemeinwesen aushandeln möchte.

In Büchners Bild ist von „Kunden“ die Rede, nicht von Leserinnen und Lesern, Mediennutzerinnen und Mediennutzern. Die Rolle der dpa als B2B-Unternehmen bringt es mit sich, dass die Arbeit und die Leistung der Nachrichtenagentur in der Öffentlichkeit eher unbekannt sind. Die medienwissenschaftliche Forschung verwendet gern das Bild vom „Großhändler“ für diese Rolle im Hintergrund. „Nachrichtenbüros“, so formulierte es Emil Dovifat, der Doyen der Zeitungsforschung, in den 1930er Jahren, sind „Unternehmen, die mit schnellsten Beförderungsmitteln Nachrichten zentral sammeln, sichten und festen Beziehern weiterliefern“.

Der Lieferant im „Jahr der Nachricht“

Diese Rolle des Lieferanten feiert im „Jahr der Nachricht“ 2024 gleich zwei Mal Jubiläen. Zum einen ist sie Teil einer 175-jährigen Geschichte. 1849 gründete der Verleger Bernhard Wolff in Berlin Wolffs Telegraphisches Bureau und bildete bald zusammen mit den internationalen Agenturen Havas, Reuter und Associated Press (AP) das Kartell der großen Vier, das die Globalisierung der Nachrichten bis Anfang der 1930er Jahre mit einer Weltnachrichtenordnung bestimmte. Zum anderen ist sie Teil einer 75-jährigen Geschichte, die ihren Ausgangspunkt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat. In Deutschland stellte sich die Frage der Neuordnung des Mediensystems, des Pressewesens und der Organisation der Nachrichtenagentur. Aus den bis dahin gesammelten Erfahrungen war klar: Eine neu zu gründende Nachrichtenagentur darf nicht der staatlichen Kontrolle unterliegen, wie es beim Deutschen Nachrichtenbüro (DNB) und bei Transocean (TO) im „Dritten Reich“ der Fall war. Sie sollte aber auch nicht den Kräften des freien Marktes unterworfen sein und ausschließlich gewinnmaximierende Ziele verfolgen. Als in Westdeutschland mit der am 20. Juni 1948 durchgeführten Währungsreform die Grundlage für eine neue Wirtschaftsordnung gelegt worden war und mit der Unterzeichnung des Grundgesetzes im Mai 1949 die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland begann, schlug die Geburtsstunde der Deutschen Presse-Agentur. Aus der Fusion der Nachrichtenagenturen in den drei westlichen Besatzungszonen entstand die nationale Nachrichtenagentur dpa, organisiert nach einem genossenschaftlichen Modell.

Das berühmteste Vorbild hierfür lieferte die bewegte Geschichte von AP in den USA. Trotz der Konkurrenz zu den privatwirtschaftlichen Agenturen auf dem US-amerikanischen und vor allem auf dem globalen Markt setzte sich AP als eine von verschiedenen Zeitungsunternehmen getragene Genossenschaft durch, die mit dem ehernen Ziel von objektiven Nachrichten und einem Verständnis von „News“ als einem „public good“, einem gesellschaftlichen Wert, auftrat. Die westalliierten Siegermächte hatten dieses Modell vor Augen, als sie daran gingen, das Nachrichtenwesen in den besetzten Gebieten zu entstaatlichen und neu zu gründende Nachrichtenagenturen jeweils als eine „nonprofit cooperative of its newspaper firm members“ zu etablieren. Dieses Modell wurde nicht nur in Westdeutschland umgesetzt, auch in Italien und in Österreich mit der Agenzia Nazionale Stampa Associata (ANSA) und der Austria Presse Agentur (APA) sowie in Japan, als im November 1945 Kyōdō als Non-Profit-Unternehmen gegründet wurde und die bis dahin existierende staatliche Agentur Domei ablöste.

Als im August 1949 die Bundestagswahlen den Weg zur konstituierenden Sitzung des ersten Deutschen Bundestags Anfang September 1949 ebneten, erfolgte in dieser Zeit der demokratischen Neuordnung auch die Gründung der Deutschen Presse-Agentur. Ein notariell besiegelter Gesellschaftsvertrag hielt am 18. August die Struktur dieses neuen Unternehmens fest; am 31. August versandte der soeben gewählte Aufsichtsrat die erste dpa-Meldung. In diesem Schlüsseldokument hieß es:

„die pflege der objektiven nachricht und die unabhaengigkeit von jeder staatlichen, parteipolitischen und wirtschaftlichen interessengruppe werden das merkmal der neuen agentur sein […]. das kennzeichen dpa muss vom ersten tage an das vertrauen der deutschen zeitungen, der deutschen oeffentlichkeit und der welt haben.“

Mit solch ehernen Leitzielen begann eine überaus bewegte Geschichte der dpa. Denn als nationale Agentur in der Bundesrepublik Deutschland musste sie sich von Anfang an auf einem hart umkämpften Nachrichtenmarkt behaupten. Als ein Medienunternehmen ganz besonderer Art unterliegt die Nachrichtenagentur dem strukturellen Wandel der gesamten Medienbranche und muss sich den jeweils aktuellen Herausforderungen stellen. Dabei geht es immer wieder um nicht weniger als um den Wert, den Nachrichten haben, und um den Wert, der ihnen zukommen sollte. Denn was ist eine „objektive Nachricht“, wie es im Gründungsdokument heißt? Wie will man die „Unabhängigkeit“ von Staat und Parteien, von Industrie und Wirtschaft gewährleisten? – eine Unabhängigkeit, die „Vertrauen“ schaffen soll und immer wieder unter Beweis gestellt werden muss. Diese Herausforderung und die Antworten darauf, galt es nachzuzeichnen, auf gelegentliche Pleiten, Pech und Pannen hinzuweisen und für eine interessierte Leserschaft die Leistung der Institution „dahinter“ einmal deutlich nach „vorne“ zu holen.

Bild: Kay Nietfeld / dpa

Letzte Aktualisierung: 15.08.2024

Projektbezug:

Die Geschichte der Deutschen Presse-Agentur (dpa)

In-Wert-Setzen von Vergangenheit: Praktiken der Aneignung von Vergangenheit

Forschungsprogramm:

FP 3 Wissen für die Mediengesellschaft

Kompetenzbereich:

Kompetenzbereich Mediengeschichte

Beteiligte Personen:

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