Als Teil der weltgrößten Journalismusstudie „Worlds of Journalism“ untersucht eine repräsentative Befragung das Berufsfeld und lotet die Belastungen aus, denen sich professionelle Journalist*innen in Deutschland ausgesetzt sehen.
Ziel der dritten Erhebungswelle der globalen Forschungsreihe ist es, den Zustand und Wandel des Journalismus zu untersuchen und die gewonnenen Erkenntnisse vergleichend einzuordnen – sowohl über nationale und kulturelle Grenzen hinweg als auch im Zeitverlauf. Forschungsteams in mehr als 100 Ländern nehmen teil und führen auf Grundlage eines gemeinsam entwickelten Fragebogens repräsentative Befragungen von Journalist*innen in ihren Ländern durch. Unterstützt wird diese einzigartige weltumspannende Kooperation der Journalismusforschung unter anderem von der UNESCO, Reporter ohne Grenzen und der International Federation of Journalists. Die Studienreihe dient Akteuren in Medien, Forschung und Politik als wichtige Informationsquelle (siehe auch www.worldsofjournalism.org).
In Deutschland ist das Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans Bredow-Institut (HBI) mit der Realisierung des Projekts betraut. Von September 2022 bis Februar 2023 hat das Meinungsforschungsinstitut Ipsos unter Leitung des HBI eine repräsentative Befragung hauptberuflicher Journalist*innen durchgeführt. Selbstverständlich wurden dabei alle Bestimmungen der EU-Datenschutzgrundverordnung eingehalten.
Außer in den deutschen Länderreport fließen die Ergebnisse in Abstimmung mit den Projektteams in Österreich und der Schweiz in gemeinsame Analysen der Region sowie darüber hinaus in den globalen Vergleich ein. Die weltweite Koordination liegt bei der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Journalismus unter Druck
Im Zentrum der Befragung steht der Umgang von Journalist*innen mit Risiken und Unsicherheiten in einer Medienwelt, die politisch, ökonomisch, technologisch und kulturell von stetigem Wandel geprägt ist. Dabei fokussieren wir auf sieben Schlüsselbereiche: redaktionelle Autonomie, wahrgenommene Einflüsse auf Journalismus, journalistische Rollen, journalistische Epistemologien, Berufsethik, Sicherheit und journalistische Arbeitsbedingungen. Daneben erheben wir erstmals seit 2015 wichtige Kennzahlen zum journalistischen Berufsfeld.
Um den Ländervergleich zu ermöglichen, erfolgte die Befragung auf Grundlage eines einheitlichen methodischen Designs. Es umfasst einen gemeinsamen Fragebogen sowie Instruktionen zur Definition der Populationen, Stichprobenziehung, Durchführung der Datenerhebung sowie der Erfassung und Verarbeitung von Umfragedaten. Die Teilnehmenden wurden in einer zweistufigen geschichteten Zufallsstichprobe ermittelt und anschließend vom Befragungsinstitut kontaktiert.
Zusätzlich zu der repräsentativen Befragung werden in Deutschland, Österreich und der Schweiz im weiteren Projektverlauf im Herbst 2023 verschiedene Gruppen so genannter „peripherer Akteure“ befragt, die eher am Rande des etablierten Journalismus agieren.
Methodik
Das methodische Vorgehen bei der repräsentativen Befragung gliedert sich in folgende Schritte:
Ermittlung der Grundgesamtheit: Anhand definierter Kriterien werden alle relevanten redaktionellen Einheiten in Deutschland erfasst und ihre Redaktionsgrößen ermittelt. Unterschieden werden die Segmente Zeitungen, Anzeigenblätter, Zeitschriften, Nachrichtenagenturen, Mediendienste und Zulieferer, Privathörfunk, Privatfernsehen, öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Onlinemedien. Die Informationen stammen aus Datenbanken (Zimpel, ZMG Zeitungsatlas 2021/22, AGOF, IVW, Landesmedienanstalten etc.), Medien-Websites und Direktauskünften per E-Mail oder Telefon.
Stichprobenziehung und Kontaktdatenrecherche: Aus der Grundgesamtheit werden die Stichprobengröße und ihre Verteilung auf die Mediensegmente berechnet. Zusätzlich erfolgt eine informierte Schätzung der Anteile freiberuflich Medienschaffender pro Segment. Auf dieser Grundlage wird die nach Segmenten geschichtete Stichprobe redaktioneller Einheiten gezogen. Im nächsten Schritt erfolgt die Recherche von Journalist*innen, die für die mit der Stichprobe gezogenen Einheiten tätig sind. Dies geschieht anhand von Datenbanken (Zimpel) sowie öffentlich zugänglichen Listen und Selbstauskünften wie z.B. Impressen, „Über uns“-Angaben und berufliche Netzwerke. Eine Zufallsauswahl aus den vorliegenden Personenlisten entscheidet darüber, welche Journalist*innen angefragt werden. Die Kontaktdaten entstammen den oben genannten Quellen.
Feldzeit und Auswertung: Unter Leitung des Leibniz-Instituts für Medienforschung (deutsche Koordination) sowie der Ludwig-Maximilians-Universität München (globale Koordination) übernahm das Meinungsforschungsinstitut Ipsos die Durchführung der Befragungen. Befragte konnten wahlweise telefonisch oder online (Selbstausfüller-Version) antworten. Die Feldzeit startete im September 2022 und umfasste knapp sechs Monate. Die Auswertung erfolgt anonym, also nicht in Verbindung mit Namen von Personen oder Medien. Alle personenbezogenen Daten werden nach Projektabschluss gelöscht.
Ergänzendes Sample: Nach Abschluss der repräsentativen Befragung wird es in Deutschland, Österreich und der Schweiz eine zusätzliche Befragung von Personen aus dem peripheren Bereich des Journalismus geben. Dazu werden zunächst mehrere Subsamples gebildet, denen entsprechende Organisationseinheiten und darin tätige Personen zugeordnet werden. Die Befragung der peripheren Akteure startete im Herbst 2023.
Ergebnisse der deutschen Teilstudie
- Der Durchschnittsjournalist in Deutschland ist zwar immer noch männlich, allerdings hat der Frauenanteil in der Branche in den letzten Jahren zugenommen: seit 2015 stieg er von 40 auf 44 Prozent. Traditionelle Printhäuser sind nach wie vor die wichtigsten Arbeitgeber. Etwas mehr als die Hälfte der deutschen Journalist*innen arbeitet für einen Zeitungs- oder Zeitschriftenverlag. Jeweils 17 Prozent beim Fernsehen und im Hörfunk. Fast 90 Prozent der Befragten arbeiten in Vollzeit. 80 Prozent sind festangestellt.
- Viele Journalist*innen in Deutschland stehen unter Druck. Jede zweite Person gibt an, in den vergangenen sechs Monaten „oft“ oder „sehr oft“ unter Stress bei der Arbeit gelitten zu haben. Die Mehrheit der Befragten hat in den letzten fünf Jahren zudem Monaten erniedrigende oder hasserfüllte Äußerungen erlebt. Rund 62 Prozent haben Erfahrungen mit öffentlicher Diskreditierung ihrer Arbeit gemacht.
- Wie sehen Journalisten*innen in Deutschland ihre Rolle in der Gesellschaft? Zu den wichtigsten Aufgaben gehört für sie, Informationen zu vermitteln, die Menschen zur Meinungsbildung zu befähigen. Außerdem ist es ihnen sehr wichtig, Desinformation entgegenzuwirken, das aktuelle Geschehen einzuordnen und unparteiisch zu beobachten.
- Die ethischen Standards ihrer Branche halten die Journalist*innen in Deutschland nach wie vor hoch. 98 Prozent der Befragten geben an, unter keinen Umständen Geld von Informationsquellen anzunehmen. Geschenkte Produkte oder oder Dienstleistungen würden 87 Prozent unter keinen Umständen annehmen.
- Mehr als drei Viertel der Befragten schätzen die Meinungsfreiheit in Deutschland als „sehr“ oder „vollständig frei“ ein. Als stärkste Einflüsse auf die eigene journalistische Arbeit werden Zeitdruck und Verfügbarkeit von Ressourcen für die Berichterstattung empfunden. Den geringsten Einfluss haben in den Augen der Befragten Regierungsbeamte sowie staatliche Zensur.
Downloads
Hier geht es zum länderübergreifenden, englischsprachigen Gesamtreport „Journalism Under Duress. Worlds of Journalism Study Report (Wave 3: 2021–2025)“.
Hier geht es zu den Ergebnissen der deutschen Teilstudie. Die Ergebnisse wurden auch in einem Video zusammengefasst.
Bild: Markus Spiske auf Unsplash