Vergangenheit wird von vielen unterschiedlichen Akteuren verhandelt und in immer neuen kommunikativen Praktiken für die Gegenwart relevant gemacht. Das Research Lab „Praktiken der Aneignung“ nimmt auch historische Memes und TikTok-Videos sowie geschichtliche Instagram- und Twitter-Accounts in den Blick.
Im Rahmen des Leibniz-Forschungsverbunds „Wert der Vergangenheit“ erforscht das Research Lab 3.2 „Praktiken der Aneignung“ neue kommunikative Praktiken der Aneignung von Vergangenheit, die vor dem Hintergrund des medialen Wandels zu beobachten sind. Die Projekte und Vernetzungsaktivitäten untersuchen die Aushandlungsprozesse über Geschichte und Vergangenheit in der Öffentlichkeit bzw. in Teilöffentlichkeiten in Hinblick darauf, welche historischen Ereignisse und Themen von unterschiedlichen Akteuren für gegenwartsrelevant erklärt werden.
Erforscht wird, inwieweit die Vervielfältigung von kommunikativen Räumen, in denen über Vergangenheit gestritten wird, bislang geltende Deutungsmonopole in Frage stellt und neue schafft. In Zeiten, in denen Menschen ihr historisches Wissen im Rückgriff auf ein breites Spektrum unterschiedlicher Medien vom Feuilleton transnational rezipierter Zeitungen über TikTok-Videos bis zu Hitler- und Holocaust-Memes co-produktiv herstellen, wird erinnerungskultureller Konsens immer schwieriger. Durch die weltweite Verfügbarkeit von Kommunikationsdiensten und medialen Repräsentationen erleben speziell nationalstaatlich verfasste Gesellschaften einen Heterogenisierungsschub.
Die Arbeit im Lab nimmt diese Dynamiken in unterschiedlichen Handlungsfeldern in den Blick. Analysiert werden u.a. geschichtspolitische Interventionen und mediale Strategien populistischer und neu-rechter Akteure. Im Fokus stehen weiterhin Erinnerungspraktiken im Geschichtsunterricht, in dem Angehörige unterschiedlicher Generationen mit unterschiedlichen Medienrepertoires aufeinandertreffen, die Auseinandersetzung um Rituale des Erinnerns in Gedenkstätten und an Jahrestagen sowie neue Formen historischen Erzählens in interaktiven digitalen Medien.
Das Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut ist Vollmitglied im Leibniz-Forschungsverbund „Wert der Vergangenheit“. Dr. Hans-Ulrich Wagner leitet zusammen mit Dr. habil. Barbara Christophe vom Leibniz-Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut (GEI) im Forschungsverbund das Research Lab 3.2 „Praktiken der Aneignung“.
Vergangenheit auf Social Media
Als eine kleine Studie zu einem aktuellen Social-Media-Memory-Projekt haben Daria Chepurko, Ken Phan, Kira Thiel und Dr. Hans-Ulrich Wagner den Instagram-Account „@ichbinsophiescholl“ der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Südwestrundfunk (SWR) und Bayerischer Rundfunk (BR) untersucht. Dieser Account verspricht eine „ehrliche“ und eine „intime Perspektive“ auf die junge Widerstandskämpferin Sophie Scholl im „Dritten Reich“, indem er sie als gegenwärtige Social-Media-Akteurin auftreten lässt. Die Ergebnisse der Untersuchung sind in dem Blog-Dossier “Sophie Scholl auf Instagram: Eine kommunikations- und geschichtswissenschaftliche Untersuchung” auf dem Media Research Blog des HBI veröffentlicht.
Foto (aus dem Amsterdamer Rijksmuseum): Hans-Ulrich Wagner