Connected Kids: Sozialisation in einer sich wandelnden Medienumgebung

Kinder und Jugendliche nutzen Medien, um sich innerhalb ihrer jeweiligen sozialen Gruppen und Kontexte zu positionieren. Welche Rolle ihre Medienrepertoires und kommunikativen Praktiken dabei spielen und wie sich diese im zeitlichen Verlauf verändern, haben wir mit Kolleg*innen der FAU Erlangen-Nürnberg in einer qualitativen Längsschnittstudie untersucht.

Im Zuge der Mediatisierung wandeln sich die Bedingungen, unter denen Heranwachsende Beziehungen zu anderen Personen gestalten und sich innerhalb verschiedener sozialer Kontexte positionieren. Mediale Entwicklungen und die zunehmende Mediennutzung in Familien, Peergroups, Schule usw. wirken sich auf die Akteurskonstellationen und die kommunikativen Praktiken innerhalb dieser sozialen Kontexte aus und tragen zu deren Entgrenzung bei.

Vor diesem Hintergrund befasst sich das Projekt mit den Konsequenzen einer sich verändernden medialen Umwelt für den Sozialisationsprozess von Kindern und Jugendlichen. Klassische Sozialisationsagenten wie Familie, Peergroup oder Schule werden als Kommunikative Figurationen betrachtet, auf deren Ausgestaltung die Heranwachsenden aktiv Einfluss nehmen und innerhalb derer die Medien als Kommunikationskanäle, aber auch als Gegenstandbereiche bzw. Themenfelder eine wichtige Rolle spielen.

Das Projekt richtet seinen Fokus auf die Rolle der Medien für die Aushandlungsprozesse in Bezug auf Zugehörigkeit und Abgrenzung und die Veränderungen im zeitlichen Verlauf. Ausgangspunkt bildet dabei die Familie als erste und bedeutsamste Sozialisationsinstanz.

Das Projekt ist eine Kooperation der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Prof. Dr. Rudolf Kammerl) und des HBI und wurde 2018 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG bewilligt. 2021 hat das Projektteam eine Förderung für drei weitere Jahre erhalten, die es ihm ermöglicht, die Längsschnittstudie fortzuführen und weiter zu erforschen, wie sich das Familienleben im Laufe der Zeit wandelt und welche Bedeutung insbesondere der Umgang mit digitalen Medien für die Gestaltung der Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern hat.

Wissenschaftliche Details

Die Sozialisationsforschung befasst sich mit dem Prozess, durch den Individuen zu Mitgliedern ihrer Gesellschaft werden. In diesem Zusammenhang untersuchen das Projekt die Folgen einer sich verändernden Medienlandschaft für die Prozesse des Aufwachsens. Mit dem Ansatz der kommunikativen Figurationen zielt das Projekt darauf, die traditionelle Sozialisationsperspektive, in der verschiedene Sozialisationsagenten (z. B. Familie, Peer-Groups, Schule) betrachtet werden, weiterzuentwickeln.

In dem Projekt werden diese Akteure als kommunikativ konstruierte „soziale Domänen“ betrachtet. Innerhalb dieser sind Medien als Kommunikationskanäle und -anlässe von zunehmender Bedeutung. Von besonderem Interesse ist ihre Funktion für Interaktionen und insbesondere für Zugehörigkeits- und Abgrenzungsprozesse in den kommunikativen Figurationen von Familie, Peer Group und Schule. Aufgrund ihrer besonderen Rolle bei der Regulierung des kindlichen Medienrepertoires, wird die Familie als erste und eine der wichtigsten sozialen Domänen, in der Sozialisation stattfindet, besonders berücksichtigt.

Die Hauptfragen des Projekts lauten:

  • Wie nutzen Individuen Medien, um sich innerhalb der Dimension von Nähe und Distanz in ihrer sozialen Bezugsgruppe zu positionieren?
  • Welche Rolle spielen die Medienrepertoires und Kommunikationspraktiken von Kindern für die soziale Einbettung in unterschiedlichen sozialen Kontexten?

Im Rahmen einer qualitativen Panelstudie werden Familien mit unterschiedlichen medienbezogenen Einstellungen über mehrere Jahre hinweg untersucht. Berücksichtigt werden zwei Kohorten, die sich zu Beginn der Studie an institutionellen Übergängen befanden (Übergang zur Grundschule bzw. auf die weiterführende Schule) und damit vor dem Eintritt in einen neuen Lebensabschnitt, der eine Neupositionierung in einem neuen Umfeld und erfordert. Das Paneldesign ermöglicht verschiedene Arten von Vergleichen, wie z. B.:

  • Veränderungen in der Mediennutzung und Veränderungen in den Beziehungen zur Familie und zu Gleichaltrigen,
  • Vergleiche von Kindern innerhalb jeder Kohorte,
  • Vergleiche zwischen den beiden Kohorten.

Die Studie basiert auf einem Sample von insgesamt 32 Familien aus Nord- und Süddeutschland. Neben den Kindern wurde jeweils auch ein Elternteil befragt. Bis 2021 wurden zwei Erhebungen durchgeführt. Mit einem Teilsample (12 Familien aus der älteren Kohorte) wurde überdies eine Adhoc-Befragung zur Situation während der Covid-19-Pandemie im Juli 2020 durchgeführt.

Weitere Informationen zum Projekt: https://sozialisation.net/

Publikationen

Kammerl, R.; Lampert, C.; Müller, J. (2022): Sozialisation in einer sich wandelnden Medienumgebung. Zur Rolle der kommunikativen Figuration Familie. Nomos,  260 Seiten, E-Book, Open Access, ISBN 978-3-7489-2862-1

Kammerl, R.; Lampert, C.; Müller, J.; Rechlitz, M.; Potzel, K. (2021): Mediatisierte Sozialisationsprozesse erforschen. Methodologische Implikationen. In: Wolf, K. D., Rummler, K.; Bettinger, P. und Aßmann, S. (Hrsg.): Jahrbuch Medienpädagogik 16: Medienpädagogik in Zeiten einer tiefgreifenden Mediatisierung, S. 185-209 https://doi.org/10.21240/mpaed/jb16/2021.02.24.X

Kammerl, R.; Müller, J.; Lampert, C.; Rechlitz, M.; Potzel, K. (2020): Kommunikative Figurationen – ein theoretisches Konzept zur Beschreibung von Sozialisationsprozessen und deren Wandel in mediatisierten Gesellschaften? In: van Ackeren, I; Bremer, H.; Kessl, F. et al. (Hrsg.): Bewegungen. Beiträge zum 26. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. Leverkusen-Opladen: Verlag Barbara Budrich.

Vorträge

„Wenn ich Glück habe, kriege ich es erklärt. Sonst muss ich es über Youtube schauen.“, Vortrag von J. Müller, K. Potzel, M. Rechlitz, C. Lampert und R. Kammerl auf der Herbsttagung der Sektion Medienpädagogik der DGfE vom 26.-27.09.2019 in Zürich

„Mom, Can I Have Your Phone?” The Role of Smart Screens for Children’s Socialisation and Everyday Family Life”, Vortrag von K. Potzel, M. Rechlitz, R. Kammerl, C. Lampert und J. Müller auf der Konferenz „Children and Adolescents in the Era of SmartScreens: Risks, Threats and Opportunities Reloaded“ der ECREA-Sektion Children, Youth and Media (CYM) am 19.09.2019 in Salamanca

„Haltungen als Ausdruck kommunikativer Figurationen in familialen Kontexten“, Vortrag von J. Müller, R. Kammerl und K. Potzel auf der Jahrestagung der Kommission Qualitative Bildungs- und Biographieforschung der DGfE vom 18.-20.09.2019 in Nürnberg

„(Deep) Mediatized Family Life: The Role of Media in Parent-Child Interaction”, Vortrag von C. Lampert, M. Rechlitz, R. Kammerl und J. Müller auf der Konferenz „Reconceptualising Early Childhood Literacies“ am 07.03.2019 in Manchester.

„Sozialisation in einer sich wandelnden Medienumgebung. Medienpädagogik in Zeiten tiefgreifender Mediatisierung”, Vortrag von R. Kammerl, M. Rechlitz, J. Müller und C. Lampert im Rahmen der Herbsttagung der DGfE-Sektion Medienpädagogik am 20.09.2018 in Bremen. https://blogs.uni-bremen.de/sektionstagung/

„In Bewegung: Sozialisation und Erziehung in Zeiten tiefgreifender Mediatisierung“, Panel von R. Kammerl, C. Lampert, M. Rechlitz, L. Rosenthal und L. Wartberg im Rahmen des DGfE-Kongresses „Bewegungen“ am 20. März 2018 in Essen. http://www.dgfe2018.de/

Foto von Alexander Dummer auf Unsplash

Projektdetails

Überblick

Laufzeit Beginn: 2018; Laufzeit Ende: 2024

Forschungsprogramm: FP 3 Wissen für die Mediengesellschaft

Beteiligte Personen

Kooperationspartner

Kompetenzbereich:

Kompetenzbereich Aufwachsen in digitalen Medienumgebungen

Ansprechpartner

Claudia Lampert

Dr. Claudia Lampert

Senior Researcher Mediensozialisation & Gesundheitskommunikation

Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI)
Rothenbaumchaussee 36
20148 Hamburg

Ähnliche Projekte & Publikationen

Cover einer Publikation
Publikation Gesprächsklimabericht

Informations-Ökosysteme und bedrohte Demokratie

Schwächen Informations-Ökosysteme die Demokratie und fördern sie die virale Verbreitung von Falsch- und Desinformation? In der englischsprachigen Studie „Information Ecosystems and Troubled Democracy: A Global Synthesis of the State of Knowledge on New Media, AI and Data Governance" bewerten Matthias C. Kettemann, Robin E. Mansell, Flavia Durach, Théophile Lenoir, Rob Procter, Gyan Tripathi und Emily Tucker die Rolle verschiedenster Akteure im Informations-Ökosystem.

Mit Dall-E generierte Illustration eines Newsrooms, den ein Roboter und ein Mensch betreten
Projekt Projekt der DFG-Forschungsgruppe ComAI

Automatisierung der Nachrichten und journalistische Autonomie

Das Projekt im Rahmen der DFG-Forschungsgruppe ComAI untersucht kommunikative KI im Journalismus durch eine Analyse der damit verbundenen Herausforderungen für journalistische Autonomie auf interaktionaler, organisationaler und gesellschaftlicher Ebene.

Handydisplay mit mehren App-Icons Chat GPT
Projekt Projekt der DFG-Forschungsgruppe ComAI

Die Verrechtlichung kommunikativer KI

Das Projekt erforscht die rechtlichen Rahmenbedingungen für kommunikative Bots (insbesondere ChatGPT) und Social Bots (insbesondere X und Facebook) – zum einen aus kommunikationsrechtlicher Sicht, zum anderen aus der Sicht sich abzeichnender KI-Regulierung.

Cover des Impulspapiers
Publikation Impulspapier für die Friedrich-Ebert-Stiftung

Resilienz des deutschen Mediensystems stärken

Tobias Mast beschreibt in der Publikationsreihe "FES Impuls" der Friedrich-Ebert-Stiftung die rechtlichen und strukturellen Grundlagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und fordert Reformen, um seine Unabhängigkeit langfristig zu sichern.

Cover des Arbeitspapiers Nr. 74 "Jahr der Nachricht"
Publikation Arbeitspapier Nr. 74 zum Download

Erfahrungen mit Praxisaktionen im Jahr der Nachricht 2024

Mit dem Projekt "Jahr der Nachricht 2024“ im Rahmen der Initiative #UseTheNews sollten junge Menschen mit unterschiedlichen journalistischen Angeboten und Aktivitäten erreicht und mit Journalismus in Beziehung gebracht werden. Leonie Wunderlich und Sascha Hölig haben erforscht, welche Berührungspunkte junge Menschen mit der Kampagne sowie diesen Aktivitäten hatten.

Cover des Heftes 4 der Zeitschrift "Medien & Kommunikationswissenschaft"
Publikation Open Access verfügbar

M&K 4/2024 erschienen

Die Artikel in M&K 4/2024 beschäftigen sich u. a. mit den Themen Mediengebrauchsforschung, Satire und mit der Rolle der Nachrichtenagenturen. Alle Inhalte sind im Open Access über die eLibrary des Nomos-Verlages verfügbar.

Cover des Berichts "Cross-Plattform-Forschung"
Publikation Bericht zum Download

Cross-Plattform-Forschung: Methoden der Datengewinnung und Analyse

Mit welchen Methoden und Strategien übergreifende Mehrplattform-Social-Media-Daten analysiert werden können, haben Philipp Kessling, Mattes Ruckdeschel, Felix Victor Münch und Gregor Wiedemann im Rahmen des Kooperationsprojektes NOTORIOUS – die Rolle von Prominenten in Desinformationskampagnen erarbeitet.

Erste Seite des Online-Artikels
Publikation Dossier der Bundeszentrale für Politische Bildung

KI in den Sozialen Medien

Im Online-Dossier "Wenn der Schein trügt – Deepfakes und die politische Realität" der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) erklärt Jan-Hinrik Schmidt, wie Social-Media-Plattformen auf Technologien des maschinellen Lernens zurückgreifen, um Inhalte zu kuratieren und zu moderieren.

Cover des Arbeitspapiers Nr. 73 SIKID
Publikation Arbeitspapier zum Download

Rechtslage zur empirischen Forschung mit Kindern

Keine Datenverarbeitung ohne informierte Einwilligung der Betroffenen: So lautet ein Fazit von Sünje Andresen, Stephan Dreyer und Neda Wysocki, die sich mit den rechtlichen Berührungspunkten und Unwägbarkeiten bei der empirischen Forschung mit Kindern befasst haben.

Cover SIKID Kompass
Publikation Open Access verfügbar

Handlungsoptionen zur Erhöhung der Sicherheit von Kindern im digitalen Raum

Kinder und Jugendliche sind in Online-Welten erheblichen Sicherheitsrisiken ausgesetzt. Der SIKID-Kompass zeigt Handlungsoptionen zur Verzahnung von Akteuren und Maßnahmen im Jugendmedienschutz auf, basierend auf den Ergebnissen des Projekts „Sicherheit von Kindern in der digitalen Welt“ (SIKID).

1 2 3 15

Seite 1 von 15

Newsletter

Infos über aktuelle Projekte, Veranstaltungen und Publikationen des Instituts.

Jetzt abonnieren