Zwischen Wertschätzung und Widerstand: Algorithmische Kompetenz junger Menschen am Beispiel der Kurzvideoplattform TikTok

Eine neue qualitative #UseTheNews-Studie des Leibniz Instituts für Medienforschung hat untersucht, was Jugendliche und junge Erwachsene über die Funktionsweise des algorithmischen Empfehlungssystems (AES) von TikTok wissen, inwiefern sie damit interagieren und welche Emotionen dabei involviert sind. Sie bringt eine zeitgemäße Vermittlung von Nachrichten-, Informations- und Medienkompetenz ins Spiel, um fit zu machen gegen die Beeinflussungen der Algorithmen.

In der Studie wurden sechs Fokusgruppen (n=31) in drei deutschen Großstädten mit jungen Menschen im Alter zwischen 16 und 24 Jahren sowie Follow-up-Einzelinterviews (n=12) durchgeführt.

Cover des ArbeitspapiersZum Download (pdf): Alatassi, Leonie; Hölig, Sascha; Kessling, Philipp  (2025): Zwischen Wertschätzung und Widerstand: Algorithmische Kompetenz junger Menschen am Beispiel der Kurzvideoplattform TikTok. Hamburg: Verlag Hans-Bredow-Institut, November 2025 (Arbeitspapiere des Hans-Bredow-Instituts | Projektergebnisse Nr. 79), https://doi.org/10.21241/ssoar.106121

Zusammenfassung der Ergebnisse

  • Es zeigt sich ein übergreifend hohes Bewusstsein für algorithmische Empfehlung bei TikTok als erlebter Zustand („knowing“), der sich aus der eigenen Nutzungserfahrung ergibt. Es gibt altersbezogene Unterschiede beim Wissen um Einflussfaktoren und insgesamt ein begrenztes Wissen zur Datensammlung und -verarbeitung sowie damit einhergehend geringe Bedenken und Reflexionen über die Preisgabe personenbezogener Daten.
  • Such-, Video-, Profil- und Sozialinteraktionen sind in die alltägliche Nutzung der Plattform eingebettet und finden größtenteils unbewusst, ohne explizite Steuerungsabsicht, statt. Die Teilnehmenden können innerhalb der von der Plattform vorgegebenen Strukturen agieren und Handlungsziele durchsetzen, erleben die (technischen) Grenzen jedoch als kaum beeinflussbar. Häufig fehlen Wissen und Motivation, um tiefergehende Einstellungen, etwa zum Datenschutz, der personalisierten Suche oder Profileinstellungen, aktiv zu verändern.
  • Emotionen spielen in der Interaktion mit der For-You-Page (FYP) eine große Rolle. Die Teilnehmenden erleben positive Gefühle der Wertschätzung, indem der Algorithmus als personalisierter Begleiter erlebt wird, der individuelle Vorlieben erkennt, inspiriert und das Nutzungserlebnis angenehm gestaltet. Gleichzeitig entstehen negative Emotionen wie Genervtheit, Unbehagen oder Kontrollverlust, insbesondere bei unpassenden Inhalten, einer wahrgenommenen Übersteuerung durch den Algorithmus oder der eigenen Nutzungsdauer. Diese Gefühle führen teils zu Widerstand in Form von aktiven Interaktionshandlungen oder zu selbst-regulativen Strategien (z. B. Löschen der App) und sind Ausdruck eines Autonomiestrebens.
  • Die Unterscheidung zwischen passiven Kontakten mit politischen Informationen auf TikTok (push: „ich schaue mir politische Videos an, die mir gezeigt werden“) und aktiven Informationshandlungen durch Kuratierungspraktiken wie das Liken von Videos, das Folgen und Nachschauen von Profilen oder die Nutzung der Suchfunktion (pull: „ich nutze die Plattform, um mich zu informieren“) ist essenziell. Grundsätzlich empfinden es die meisten Teilnehmenden als praktisch, wenn Nachrichten oder politische Themen in Form von kurzen Videos auf der FYP angezeigt werden, weil das passive Scannen dieser Inhalte das Gefühl erzeuge „auf dem aktuellsten Stand“ zu sein. Die wenigsten Teilnehmenden konsumieren gezielt politische Inhalte, indem sie nach Themen suchen, politische Videos favorisieren oder politische Profile anschauen und diesen folgen.
  • Die Beschäftigung mit Nachrichten und Politik im Kontext der TikTok-Nutzung widerspricht dem Eskapismus- und Unterhaltungsbedürfnis vieler Teilnehmender. Es gibt eine Grundskepsis gegenüber TikTok, die sich zum einen auf das Image der Plattform, „nicht vertrauenswürdig“ zu sein, stützt, und zum anderen auf die Angst vor „falschen Informationen“ und die damit zusammenhängende Wahrnehmung, dass es sich bei TikTok nicht um eine „seriöse“ Quelle, sondern eine reine Unterhaltungsplattform handle.
  • Stichworte: algorithmische Empfehlungssysteme, algorithmische Kompetenz, Interaktionsprozesse, Kurzvideoplattform TikTok, Datenspenden, qualitative Forschung

Überblick

Erscheinungsdatum

24.11.2025

Art der Publikation

  • Arbeitspapier

Projektbezug:

Use the News – Nachrichtennutzung und Nachrichtenkompetenz im digitalen Zeitalter

Forschungsprogramm:

FP 1 Transformation öffentlicher Kommunikation

Beteiligte Personen:

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