Vom Liebeslied zum Erkennungszeichen der rassistischen Internationalen

Gigi D’Agostinos »L’amour toujours« kursiert seit Monaten als Remix mit rassistischen Textzeilen im Netz. Jedoch erst das Sylt-Video löste eine großflächige mediale Berichterstattung und Stellungnahmen diverser prominenter Politiker*innen aus. Daniel Wehrend und Jan Rau zeichnen nach, wie der Remix sich auf der Plattform 9gag über den deutschsprachigen Kontext hinaus in englischsprachige internationale Online-Communities verbreitet.

von Daniel Wehrend und Jan Rau

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ)

Die Online-Plattform 9gag ist kein soziales Netzwerk im engeren Sinne, sondern ein Imageboard zum Austausch von Bildern und Videos und der Möglichkeit, diese zu kommentieren. Das SEO-Tool (Suchmaschinenoptimierung) Semrush weist für die Plattform im Mai 2024 eine international diverse Nutzer*innenschaft aus, die sich über verschiedene Kontinente und Länder erstreckt: Deutschland, die USA, die Niederlande, Polen und Brasilien sind dabei die am häufigsten vertretenen Ländern mit jeweils niedrigen zweistelligen oder auch einstelligen prozentualen Anteilen an der Gesamtnutzer*innenschaft (Stand: 21.06.24). Dieses Bild einer internationalen, länderübergreifenden Community bestätigt sich auch in den Interaktionen der Nutzenden auf der Plattform. #

Ursprünglich mit einem Fokus auf humoristischen und mitunter anstößigen schwarzen Humor gestartet, hat die Plattform mittlerweile einen deutlichen Rechtsdrall erfahren, mit einer hohen Sichtbarkeit von misogynen, rassistischen und antisemitischen Inhalten (Jazo 2021: 234, Andreasen 2023: 424 ff). Entsprechende Memes werden dabei scheinbar ironisch platziert und kommentiert, was zu einer Normalisierung der oft menschenfeindlichen Narrative und einer Verschiebung der Grenze zwischen Ernst, Spaß und Ironie beitragen kann (Fielitz und Marcks 2020: 31).

Rechtsextreme Agitator*innen bespielen diesen Graubereich gezielt. Besonders gelungen ist die Provokation dann, wenn sie Aufmerksamkeit von anderen und größeren Öffentlichkeiten erlangt, die sich empören und dem Meme damit eine noch größere Reichweite verschaffen (ähnlich wie es mit dem rassistischen »L’amour toujours«-Meme auch in Deutschland passiert). Generell haben Memes einen assoziativen Charakter: Sie sind oft nicht explizit oder eindeutig, sondern erfordern Kontextwissen und können unterschiedlich interpretiert werden. Hierdurch können sie als sogenannte dog whistles fungieren, also als Codes, die von den eigenen Unterstützer*innen gesehen und dechiffriert werden können, jedoch für Menschen, die nicht der Kultur der Community vertraut sind, unsichtbar bleiben oder schwer zu erkennen sind.

Meme-ifizierung eines Party-Songs

Die Prominenz, die das rassistische »L’amour toujours«-Meme auf 9gag erlangt hat, steht beispielhaft für eine Internationalisierung der Verbreitung rechtsextremer und -radikaler Narrative im Internet. Bereits im November 2023 wurden erste Versionen des Liedes auf der Plattform geteilt und stark positiv rezensiert. Im Kontext der großen Medienaufmerksamkeit für das Meme nach dem Sylt-Video werden etliche weitere Videoclips ähnlicher Partyszenen auf 9gag geteilt. Gängige Tags sind »9gag den Deutschen«, »outlander«, »germany«, »Sylt«, »deutsch«, »dark humor«, »funny« oder »europe«, aber auch »Faschismus«, »politics«, »immigration«, »awesome« oder »wholesome«.

Auch die für solche Memes typische Weiterentwicklung und Verknüpfung mit anderen populären Inhalten lässt sich beobachten: Beispielsweise wird die Figur Cartman aus der Animationsserie South Park als Hitler verkleidet, gefolgt von einer marschierenden Menschenmasse dargestellt und mit dem Ton-Mitschnitt von einer der oben genannten »Partys« kombiniert. Ein anderer Zusammenschnitt zeigt, wie Angela Merkel vor der Kapelle der Bundeswehr sitzt – wahrscheinlich während des Zapfenstreichs 2021 zu ihren Ehren. Diese Kapelle spielt eine instrumentale Version der vermeintlichen deutschen Nationalhymne, hier nun durch »L’amour toujours« ersetzt. Sogar das Kinderserien-Schweinchen Peppa Wutz wird im Kontext der Sylt-Videos zur Meme-Generierung verwendet. Viele der Inhalte sind stark positiv rezensiert, mitunter mit über 10.000 positiven Bewertungen (was für 9gag eine hohe Sichtbarkeit und Beliebtheit bedeutet).

In den Kommentaren wird ein breites Unterstützer*innenfeld deutlich. Es finden sich Sympathiebekundungen und die Nutzung von anderen Memes, um sich an der Diskussion zu beteiligen. Einige nutzen die Kommentarfunktion, um sich an öffentlich-rechtlichen Medien, der Bundesregierung oder generell an politischen Parteien abzuarbeiten. Angeprangert wird beispielsweise eine Überdramatisierung des Remixes durch Medien und Öffentlichkeit und es werden Vergleiche mit den islamistischen Demonstrationen in Hamburg Anfang Mai gezogen, bei denen es vermeintlich weniger öffentliche Aufmerksamkeit und Kritik gegeben habe.

Bilder von vermeintlich migrantisch gelesenen Menschen mit dem Titel »laughs in German« sind eindeutig ausländerfeindlich. Es werden auch antisemitische Inhalte, wie zum Beispiel ein Hitler-Meme mit einer Sprechblase »I want to turn back time and try again« oder eine Karikatur, die sämtliche Ismen – Antisemitismus, anti-arabischer und anti-afrikanischer Rassismus – vereint, geteilt: Die mythologische Figur der Europa tritt drei rassistisch überzeichnete Figuren (mit Turban und Schweinegesicht, Hakennase und Banane in der Hand) vom europäischen Kontinent. Ebenfalls tritt sie dabei den Koran, den Talmud und eine Toilettenrolle mit dem Schriftzug »#BLM« (Black Lives Matter) in die Türkei und nach Israel. Selbstverständlich wird auch das Meme »Pepe the frog« als fester Bestandteil des Right-Wing-Social-Media-Starter-Kits verwendet. Noch drastischer ist ein Bild eines SS-Mannes, der einen migrantisch gelesenen Menschen vergasen will.

Internationalisierung

Auch im Kontext der Europawahl wurde das Meme auf 9gag wieder aufgegriffen. Der Zugewinn rechter Parteien bei der Wahl wurde beispielsweise mit einer Gruppe zum Remix »L’amour toujours« tanzender (Kreuz-)Ritter kommentiert. Das (Kreuz-)Ritter-Motiv ist eine Anlehnung an die »Deus Vult«-Memes, die Anspielung an die historischen Kreuzritter symbolisiert eine gewaltvolle Auseinandersetzung zwischen einem christlichen Europa und dem Islam als »Feind«. Unter diesem und anderen »L’amour toujours« Memes wird, ganz im Sinne der Grenzgänge zwischen Ironie, schwarzem Humor und Rassismus sowie Elitenfeindlichkeit, nach dem Abstauben von Guillotinen oder der Situation von Muslimen nach den Wahlergebnissen gefragt.

Mittlerweile wird das Meme auch außerhalb digitaler Plattformen von internationalen rechten Akteur*innen aktiv aufgegriffen. Der schwedische Parlamentarier David Lång, der rassistische Parolen zu dem D’Agostino-Lied auf einer EU-Wahlparty der Schwedendemokraten (SD) sang und dabei gefilmt wurde, legte inzwischen sein Mandat nieder. Im Rahmen der Fußball-EM ist das Spielen des Liedes verboten und doch bietet die EM dem Lied und den damit verbundenen Codes eine Bühne, z.B. wenn ungarische Fans den Remix singen und einen «Free GiGi«-Banner in die Luft halten. Der rassistische »L’amour toujours« Remix scheint spätestens jetzt auch im internationalen Kontext als Meme seinen Durchbruch geschafft zu haben.

Über die Autoren

Daniel Wehrend ist als wissenschaftliche Hilfskraft am Leibniz-Institut für Medienforschung │Hans-Bredow-Institut (HBI) für das (Social) Media Observatory des Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt tätig. Er studiert in Berlin Interdisziplinäre Antisemitismusforschung und in seiner Forschung beschäftigt er sich mit Antisemitismus und rechten Bewegungen im digitalen Raum.

Jan Rau ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Media Research Methods Lab des Leibniz-Institut für Medienforschung │Hans-Bredow-Institut (HBI) für das (Social) Media Observatory des Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt. In seiner Forschung beschäftigt er sich unter anderem mit digitalen Echokammern und gesellschaftlicher Polarisierung, der Manipulation von öffentlicher Meinung im Internet und rechten Bewegungen im Netz.

Diesen Blogbeitrag zitieren

Daniel Wehrend und Jan Rau (2024, 27. Juni). »L’amour toujours«: Vom Liebeslied zum Erkennungszeichen der rassistischen Internationalen. Zusammenhalt begreifen. Abgerufen am 3. Juli 2024, von https://doi.org/10.58079/11wc5

Letzte Aktualisierung: 24.10.2024

Projektbezug:

(Social) Media Observatory

Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt

Forschungsprogramm:

Media Research Methods Lab

Beteiligte Personen:

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