Vom BredowCast im Speziellen und neuen Medien im Allgemeinen

Vom Radio über das Fernsehen zu Social Media: Die Forschung des HBI hat immer die jeweils neuen Medien in den Blick genommen. Beim Podcasten war es tatsächlich selbst einmal recht früh dran, den „BredowCast“ gibt es bereits seit über zehn Jahren, erzählt der Blog-Beitrag

von Jan-Hinrik Schmidt

Am 23. Juli 2014 ertönte zum ersten Mal die Eingangsmelodie des „BredowCasts“, des frisch aus der Taufe gehobenen Instituts-Podcasts. Gastgeberin Daniela Friedrich sprach für die Premiere mit hochkarätigen Forschern des Instituts: Uwe Hasebrink, Wolfgang Schulz und Sascha Hölig erläuterten die interdisziplinären Ansätze zur Erforschung von Medienrepertoires.

Vorausgegangen war eine längere Phase des Konzipierens, Brainstormens und Ausprobierens – denn das Institut blickt zwar auf eine lange Geschichte der Erforschung von Rundfunkmedien zurück, war aber zuvor noch nie selbst zum „Sender“ geworden. Das kleine Podcast-Team skizzierte ein redaktionelles Konzept, das Forschende des HBI und ihre Themen in den Mittelpunkt stellt.

Es testete Audioproduktionssoftware und Aufnahmegeräte, um auch ohne eigenes Studio professionellen Klang zu haben. Es diskutierte aber auch Logo-Entwürfe und mögliche Podcast-Namen – der Vorschlag „Bredows Fischköppe. Medienforschung mit Butter bei die Fische“ fiel zum Glück sehr rasch aus dem Rennen. Stattdessen entschied man sich für „BredowCast – Wir erforschen was mit Medien”.

Vieles entwickelte sich im Lauf der Zeit weiter, auch weil mit Johanna Sebauer sowie aktuell mit Kristina Kobrow Gastgeberinnen folgten, die ihre eigene Stimme und Sicht auf das HBI einbrachten. Als einer der ältesten deutschsprachigen Wissenschafts-Podcasts blicken wir nun auf etwas über 100 Episoden zurück, die die Vielfalt des Institutslebens und seiner wissenschaftlichen Fragen spiegeln.

Neben der Bedeutung für die Außendarstellung steht der BredowCast aber auch exemplarisch für den stetigen Wandel der Medien, denen sich das Institut widmet. Vom Radio her kommend wandte es sich früh dem damals neuen Medium Fernsehen zu und begleitete dessen Siegeszug sowie den Übergang zur dualen Rundfunkordnung.

Mitte der 1990er kamen die digitalen vernetzten Medien hinzu, die sich seit den Anfängen des World Wide Web deutlich ausdifferenziert haben. Nicht nur die Labels wandelten sich – vom „Web 2.0“ hin zu „Social Media“ -, sondern auch die medientechnologischen Arrangements und Affordanzen, die Nutzungspraktiken und die daraus erwachsenden Konsequenzen mitsamt der Ansätze, all dies gesellschaftlich einzuhegen.

Mit Projekten etwa zum Heranwachsen mit dem Social Web, zu algorithmischer Selektion, zu Intermediärs- bzw. Plattformregulierung oder unlängst zu kommunikativer KI begleitet das HBI den Medienwandel und bettet ihn in die größeren Transformationen von Mediennutzung und dem Wandel der gesellschaftlichen Verständigungsordnung ein.

Dem BredowCast werden die Themen so rasch also nicht ausgehen.

Foto: Johanna Sebauer (rechts) mit ihren Gesprächspartnerinnen Anna Sophie Kümpel (links) und Lisa Merten (Mitte) für den BredowCast #46 zur Nachrichtennutzung auf Facebook im August 2019.

Von der Einzelmedienforschung zum Repertoire-Ansatz

Wir können uns heute aus einer Vielzahl an Möglichkeiten unser ganz individuelles Medien-Menü zusammenstellen. Wie und wofür Menschen welche Medien nutzen, lässt sich mit dem am HBI entwickelten Konzept der Medienrepertoires gut erforschen. Ein Blog-Beitrag

von Sascha Hölig

Im Jahr 2006 erschien in der Fachzeitschrift Communications ein Beitrag von Uwe Hasebrink und Jutta Popp, der die kommunikationswissenschaftliche Forschung bis heute nachhaltig prägt. Als Möglichkeit, Rezeptionsverhalten in einer sich gravierend ändernden Medienlandschaft konzeptionell fassbar zu machen, wird hier das medienübergreifende Konzept der Medienrepertoires vorgeschlagen.

Mit diesem Ansatz kann auf die strukturelle und inhaltliche Ausdifferenzierung des Mediensystems reagiert werden, indem die Nutzenden und ihre jeweils spezifische Medienauswahl in den Fokus rücken und ein Umbruch gegenüber dem bisher prägenden Paradigma der medienzentrierten Einzelmedienforschung angeboten wird. Es ist nun nicht so, dass niemand vorher auf die Idee kam, dass Menschen in ihrem Alltag nicht nur ein Gerät, einen Kanal oder ein bestimmtes Einzelmedium nutzen würden, aber mit dieser Publikation erfolgte erstmalig die theoretische Systematisierung und konzeptionelle Ausformulierung dieses Denkansatzes.

Im Anschluss bedurfte es ein wenig Zeit und Sortierarbeit, bis sich die Begrifflichkeiten inhaltlich zurechtgeruckelt hatten. Inzwischen ist jedoch weitgehend etabliert, dass es sich zum Beispiel bei Medienensemble um die jeweils verfügbaren Medienangebote handelt und mit Medienmenü eine situationsbezogene Medienauswahl angesprochen ist, während ein Medienrepertoire die situationsübergreifende stabile Zusammenstellung regelmäßig verwendeter Medien beschreibt.

Hilfreich war dabei auch ein Beitrag, den Uwe Hasebrink zusammen mit Hanna Domeyer 2012 publizierte. Dieser erschien in der eher kulturwissenschaftlich geprägten Fachzeitschrift Participations, was von einigen aus der kommunikationswissenschaftlichen Community sinngemäß mit „Schade, dass diese tolle Publikation lediglich in einem solchen Journal erschienen ist.“ kommentiert wurde. Dabei mag übersehen worden sein, dass die dortige Veröffentlichung nicht nur die Vielfalt der quantitativen und qualitativen empirischen Verwertungsmöglichkeiten aufzeigt, sondern implizit auch seine vielgestaltigen inhaltlichen Potentiale durchscheinen lässt.

In der empirischen Annährung wird der Ansatz bis dato meist in der Untersuchung von Nachrichtenrepertoires angewendet und dabei die Kombination verschiedener Geräte, Dienste und Angebote unter Verwendung vielfältiger statistischer Methoden berücksichtigt. Durch die Offenheit und Ganzheitlichkeit des Konzepts bietet es jedoch sowohl mit Blick auf die gegenständliche Bezugnahme als auch die inhaltlichen Analyseebenen noch viele Möglichkeiten und kann als zeitlos gelten.

Wir dürfen also auf zukünftige empirische Anwendungen gespannt sein.

Foto: Eine Reihe von Menschen blickt auf ihr Handy; Symbolbild von Unsplash

„Regulierte Selbstregulierung“ als medienrechtliches Konzept

Neue Regelungskonzepte zu analysieren und auch selbst zu entwickeln, gehört seit langem zu den Schwerpunkten der Arbeit des HBI. Das Konzept der „Regulierten Selbstregulierung“ wurde vom HBI nach Deutschland gebracht. Ein Blog-Beitrag

von Wolfgang Schulz

2001 führten Forschende des HBI Fachgespräche in Sydney, deren Folgen man noch heute im deutschen Medienrecht nachspüren kann. Australien galt seinerzeit als Vorreiter für eine Kombination staatlicher Gesetzgebung und privater Regelsetzung durch Industrie-Standards; eine Kombination, die viele Vorteile bietet, wenn sie intelligent gemacht ist.

HBI-Direktor Wolfgang Hoffmann-Riem hatte dieses Regelungskonzept bereits untersucht und den etwas schwerfälligen Begriff „Regulierte Selbstregulierung“ dafür eingeführt. Die Überlegungen aus Australien flossen in den ersten Jugendmedienstaatsvertrag der Bundesländer 2002 ein, dem Gesetz, das auch heute noch den Zugang von Kindern und Jugendlichen zu Inhalten im Rundfunk und in Online-Diensten begrenzt.

Neue Regelungskonzepte zu analysieren und auch selbst zu entwickeln, gehört seit langem zu den Schwerpunkten der Arbeit des HBI. Es gilt, gerade im Kommunikationsbereich Lösungen zu finden, die wirksam Rechte sichern – etwa von Minderjährigen angesichts der Gefahren, die von Inhalten ausgehen –, zugleich aber Freiheiten von Anbietern und anderen Kommunikationsteilnehmern zu wahren. Dazu
sind zuweilen komplexe Lösungen nötig, die rechtswissenschaftliche Grundlagenarbeit erfordern, die teils quer zu etabliertenr Forschungsfeldern liegen, die etwa öffentliches Recht und Zivilrecht verbindet und die Wissensbestände über Nutzungsverhalten, Mediensozialisation und Technik einbezieht.

Je komplexer die Problemlagen werden, desto stärker rückt auch das wechselseitige Lernen zwischen den Rechtsordnungen in den Blick. Hier erweist sich die internationale Vernetzung des Instituts als großer Vorteil. Den Zugang zu den Gesprächspartnern in Australien legte damals ein Autor des Internationalen Handbuchs, das das Institut herausgab. Heute ist das HBI Partner zahlreicher Verbünde wie des „Network of Internet & Society Centers (NoC)“, um international zu kooperieren.

Aktuell gilt es mehr denn je, die hybriden Ordnungsstrukturen zu verstehen, die unsere Kommunikation in digitalen Räumen prägen. Die von privaten Plattformen wie YouTube oder X gesetzten Regeln definieren das „Sagbare“ mit größerer Wirkmacht als staatliche Regeln, was dazu führt, dass Staaten und die EU zunehmend Regeln schaffen, die diese privaten Regeln und ihre Durchsetzung regulieren sollen.

Dies erforscht das Institut in seinen laufenden Forschungsaktivitäten und regt die Debatte durch eigene Regelungsvorschläge an.

Foto: iStock Symbolfoto

Zwischen Schwarzbrot und Champagner

Lässt sich die Forschung des HBI und der „Bredow-Spirit“ mit einem Grundnahrungsmittel charakterisieren? Die taz tat das 2006 in einem Vergleich der damals bekanntesten Medienforschungseinrichtungen und traf damit einen Nerv.

Von Wolfgang Schulz

„Baby, es gibt Schwarzbrot“, so konnte man am 14. Februar 2006 die Charakterisierung des HBI in einem Beitrag der taz über unterschiedliche Medien-Forschungsinstitute in Deutschland lesen. Mit  dieser Wahrnehmung von außen konnte das Institut gut leben, ruft es doch die Assoziation von Solidität, Nahrhaftigkeit und Bodenständigkeit hervor.

Der Text wurde am Freitagnachmittag mit einem Glas Champagner in der Hand (privat bezahlt natürlich) am Institut freudig-amüsiert zur Kenntnis genommen.

Dass sich die Berliner Zeitung aus der Metaphernwelt der Kulinarik bediente, passt zum Institut sehr gut. Viele Bredows sind so genussfreudig, dass bei Feiern, zu denen jeder etwas Selbstgemachtes  mitbringt, Buffets entstehen, die manchen professionellen Caterer sehr alt aussehen lassen.

Dass Dinge selbst mitgebracht werden, hat in letzter Zeit eher zu- als abgenommen, denn zur Professionalisierung des größer werdenden Instituts gehört auch, dass die engen Bewirtungsrichtlinien des Zuwendungsgebers, der Freien und Hansestadt Hamburg, penibel eingehalten werden. Dass das sogenannte Vergaberecht – also die Regelungen, die den Einkauf mit öffentlichen Mitteln steuern – im Prinzip für jedes belegte Brötchen gilt, das das Institut einkaufen und verzehren will, strapaziert  zuweilen die Nerven. Allerdings tut die interne Verwaltung, was sie kann, bestehende Spielräume zu nutzen, und allen ist klar: Mit öffentlichen Mitteln forschen zu dürfen, ist letztlich ein großes Privileg.

Mit dem Wachstum und den vielen Veränderungen der letzten Jahre hat das Institut sich viel damit auseinandergesetzt, was es eigentlich – außer weit geteilter Begeisterung für Essen und Trinken – ausmacht. Moderierte Schulungen, Leitbildprozesse und Diskussionen über „Employer Branding“ im Wettbewerb um die besten Köpfe beschäftigen alle am Institut.

Die selbstbewusste Bescheidenheit, die seinerzeit die taz konstatierte, bleibt eine wichtige Kontur in diesem Selbstbild.

Bild: Taz-Artikel „Die Medienmächtigen“ vom 14. Februar 2006

Prost: Auf die Gesundheitskommunikation(sforschung)!

Dass sich die Gesundheitskommunikation ab 2003 zu einem wichtigen Forschungsfeld innerhalb der Kommunikationswissenschaft entwickelt hat, ist auch das Verdienst eines Netzwerks, das am HBI ins Leben gerufen wurde. Ein Blog-Beitrag

von Claudia Lampert

„Alkohol im Fernsehen und wie Jugendliche damit umgehen“ – was zunächst als Forschungsprojekt etwas merkwürdig anmutete, erwies sich Anfang der 2000er Jahre als ungeplanter Auftakt für die systematische Erschließung des Themenfeldes der Gesundheitskommunikation im deutschsprachigen Raum.

In dem Projekt (gefördert durch die Hamburgische Anstalt für Neue Medien, HAM, jetzt MA HSH, und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, BZgA, jetzt BIÖG) wurden 520 Stunden Fernsehprogramm von ARD, ZDF, RTL, SAT.1, ProSieben, RTL II, Hamburg1 und VIVA gesichtet und codiert, medienpädagogische Projekte und qualitative Interviews mit Jugendlichen durchgeführt und Unterrichtsmaterialien entwickelt. Insgesamt ein umfangreiches Paket, das auf verschiedenen Ebenen zeigte, welche wichtige Rolle Medien in der Auseinandersetzung mit Gesundheitsthemen zukommt.

Mit der Gründung des „Netzwerks Medien und Gesundheitskommunikation“ im Jahr 2003 setzten Claudia Lampert, Eva Baumann (damals Hannover) und Constanze Rossmann (damals München) ein wichtiges Zeichen. Die Initiative brachte Wissenschaftler*innen, Medienschaffende und Gesundheitsexpert*innen zusammen, um den Einfluss medialer Kommunikation auf das Wissen und das Gesundheitsverhalten unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen zu analysieren.

Das große Interesse an der Tagung „Medien und Gesundheitskommunikation“ im Oktober 2003 in Loccum und die Beiträge zeigten, dass die  kommunikationswissenschaftliche Auseinandersetzung nicht nur wichtig, sondern auch bereichernd ist für die Gesundheitskommunikation, die bis dahin vor allem Gegenstand der Gesundheitswissenschaften und der Medizin war.

Über diverse Veranstaltungen, Publikationen, Lehr- und Handbücher, Schriftenreihen (wie z. B. „Medien und Gesundheitskommunikation“, vormals „Gesundheit + Medien“ im Nomos Verlag), Ad hoc- und Fachgruppen sowie Drittmittelprojekte wurde das Forschungsfeld weiter abgesteckt und mit der Einrichtung verschiedener Stellen
und Professuren im Fach verankert.

Standen in der Forschung am HBI anfänglich noch Fernseh- und Printformate und deren Nutzung im Fokus, geht es nunmehr um die Nutzung von gesundheitsbezogenen Online-Angeboten und Social Media, Gesundheits-Apps, Serious Games, digitalen Gesundheitsanwendungen, wie die elektronische Patientenakte oder das E-Rezept, und – selbstverständlich – auch um die Rolle von KI.

Und wenn eine Pandemie dazwischengrätscht, wird auch diese einer eingehenden kommunikationswissenschaftlichen Untersuchung unterzogen.

Foto: Gründungstreffen des Netzwerks Gesundheitskommunikation 2003 mit Constanze Rossmann, Eva Baumann und Claudia Lampert (v. l.)

Die Hürden eines Social-Media-Verbots in Deutschland: Eine kurze juristische Analyse

Die Diskussion um ein gesetzliches Verbot sozialer Medien für Heranwachsende („Social Media-Ban“) hat nach dem Vorstoß in Australien auch Deutschland erreicht: Zuletzt waren es Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD), die sich für die Einführung einer Altersgrenze von 16 Jahren für Social Media-Plattformen stark gemacht haben. Bereits eine kurze rechtswissenschaftliche Analyse zeigt allerdings fundamentale rechtliche Probleme eines solchen gesetzlichen Verbots auf, die weit über die gewünschte politische Symbolkraft einer solchen Maßnahme hinausgehen.

von Stephan Dreyer

Hürden bei dem Erlass einer nationalen Regelung

Anwendungsvorrang des DSA

Zunächst stellte sich beim Erlass eines gesetzlichen Verbots des Zugangs von Unter-16-Jährigen zu Social-Media-Angeboten die Frage, ob der deutsche Gesetzgeber überhaupt eine entsprechende Norm erlassen könnte. Denn mit der Anwendbarkeit des Digital Services Act (DSA), einer unmittelbar geltenden Europäischen Verordnung, hat die EU seit dem 17.02.2024 einen vollharmonisierenden rechtlichen Rahmen für sogenannte Vermittlungsdienste geschaffen, zu denen auch die gängigen Social Media-Plattformen gehören. Das bedeutet, dass EU-Vorgaben etwaige nationale Vorschriften für Vermittlungsdienste verdrängen bzw. neu erlassene Vorgaben, die die gleichen Ziele wie der DSA verfolgen, nicht angewandt werden dürfen. Aus diesem Grund wurden z.B. fast alle Vorgaben des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) außer Kraft gesetzt.

Ein ausdrückliches Ziel des DSA ist unter anderem der Kinder- und Jugendmedienschutz auf Online-Plattformen, das sich insbesondere in Art. 28 DSA niedergeschlagen hat. Der sogenannte Anwendungsvorrang des Europäischen Rechts führt so dazu, dass Deutschland im Anwendungsbereich des Digital Services Act keine eigene Regelungskompetenz mehr hat. Ein nationales Social Media-Verbot, dass sich an die Anbieter von Online-Plattformen richtet, ist daher nach herrschender Meinung nicht möglich. Das Konstrukt des Awendungsvorrangs ist aber im Einzelnen nicht unumstritten, so dass es Stimmen gibt, die angesichts der teils unbestimmten Vorgaben des DSA noch eine Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten sehen. Die Perspektive der EU-Kommission ist hier aber klar: Keine nationalen Alleingänge bei der Regulierung von Vermittlungsdiensten.

Komplexes Verhältnis zur AVMD-Richtlinie

Eine mögliche Lücke für nationale Regelungen im Anwendungsbereich des DSA könnte sich im Hinblick auf Video-Sharing-Plattformen (VSP) ergeben: Mit der Audiovisuellen Mediendienste-Richtlinie (AVMD-RL) verpflichtet die EU die Mitgliedstaaten, die Vorgaben dieser Richtlinie in nationales Recht umzusetzen, darunter auch die Vorgabe aus Art. 28b AVMD-RL: Danach haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass Video-Sharing-Plattform-Anbieter angemessene Maßnahmen zu treffen haben, um Minderjährige vor Inhalten zu schützen, „die ihre körperliche, geistige oder sittliche Entwicklung beeinträchtigen können“. Dazu können sie etwa auch Systeme zur Altersüberprüfung einsetzen. Eine nationale Vorschrift zur Umsetzung der Richtlinienvorgabe könnte insoweit von dem Anwendungsvorrang des DSA ausgenommen sein. Das Verhältnis zwischen AVMD-RL und DSA aber ist nicht abschließend geklärt; Art. 2 Abs. 4 DSA sagt lediglich, dass der DSA „die Vorschriften anderer Rechtsakte der Union unberührt“ lässt, „die andere Aspekte der Erbringung von Vermittlungsdiensten im Binnenmarkt regeln oder diese Verordnung präzisieren und ergänzen“. Zu diesen Vorschriften gehören ausdrücklich auch jene der AVMD-RL. Präzisieren oder ergänzen nationale Vorschriften zur Umsetzung der AVMD-RL die Vorgaben des DSA, so erschiene dies rechtlich möglich.

Allerdings kann sich ein vollständiges Verbot des Zugangs von Nutzern unter einem bestimmten Alter zu ganzen Social Media-Angeboten aus zwei Gründen rechtlich nicht auf Art. 28b AVMD-RL stützen: Zum einen rechtfertigt die Vorgabe kein vollständiges Verbot, sondern ermöglicht den nationalen Gesetzgebern der Mitgliedstaaten, den Zugang zu bestimmten Inhalten auf sog. Video-Sharing-Plattformen durch Einführung von Anbieterpflichten zu verwehren. Bestehen die Inhalte einer Plattform aber nicht ganz überwiegend aus schädlichen Inhalten, erscheint ein gesetzliches Komplettverbot einer bestimmten Plattform oder einer bestimmten Dienstekategorie als nicht mehr von dem Richtlinienartikel umfasst. Außerdem bezieht sich Art. 28b AVMD-RL auf Video-Sharing-Plattformen, d.h. solche Dienste, die die Zurverfügungstellung nutzergenerierter Sendungen und Videos als Hauptfunktion vorsehen. Fotografien und Bilder gehören nicht zu solchen audiovisuellen Darstellungen, so dass sich eine nationale Regelung, die ein Mindestalter für alle Social Media-Angebote vorsieht, dort nicht auf die Umsetzung von Art. 28b AMSD-RL berufen kann, wo sie auch für Online-Plattformen gelten will, die in erster Linie Fotos und Bilder zugänglich macht. Diese Einordnung ist z.B. mit Hinblick auf Instagram als Social Media-Plattform umstritten.

„Social Media“ als problematischer Anwendungsbereich

Ohnehin ist der Anwendungsbereich eines Social Media-Bans gesetzlich schwierig zu fassen. Es gibt bislang keine Legaldefinition von dem, was „Social Media“ ist. Und angesichts der vielfältigen Erscheinungsformen von Online-Angeboten, über die sich Menschen vernetzen und miteinander kommunzieren können, bleibt bei der Diskussion bislang völlig offen, welche Angebote eigentlich umfasst und welche nicht in das Verbot einbezogen werden sollen. Auch der australische Ansatz stößt auf dieses Problem, wo TikTok und Instagram unter den Social Media-Ban fallen sollen, das Angebot von Youtube aber nicht. Auch im Hinblick etwa auf Diskussions- und Selbsthilfeforen, über die sich Nutzende verbinden und austauschen können, stellte sich die Frage der Tragweite eines Verbots. Daneben gibt es Angebote und Apps mit sozialen Funktionen, die sich speziell an Minderjährige richten; für all jene Anbieter stellte sich ein Ban als existenzgefährdend dar.

Herkunftslandprinzip: Anwendbarkeit auf die großen Plattformen fraglich

Doch es geht noch weiter mit den konkreten rechtlichen Hürden. Für Dienste der Informationsgesellschaft gilt mit Art. 3 der E-Commerce-Richtlinie, für audiovisuelle Mediendienste mit Art. 3 der AVMD-RL das sogenannten Niederlassungs- oder Herkunftslandprinzip. Das bedeutet, dass für einen in einem EU-Mitgliedstaat niedergelassenen Anbieter nur die jeweils nationalen Rechtsvorgaben gelten. Andere EU-Mitgliedstaaten können einem Anbieter aus dem EU-Ausland regelmäßig keine eigenen nationalen Vorgaben im harmonisierten Bereich machen. Ausnahmen gelten nur für behördliche Einzelmaßnahmen, etwa bei Verstößen gegen nationales Jugendmedienschutzrecht – für solche Verfahren sind dann konkrete grenzüberschreitende behördliche Abstimmungsprozesse vorgesehen. Ein allgemeines Gesetz wie ein Social Media-Ban würde daher als deutsche Vorschrift auf Anbieter aus Deutschland und auf solche aus dem außereuropäischen Ausland anwendbar sein (bei Letzteren aber wäre der Vollzug in der Regel gehemmt, weil Maßnahmen deutscher Behörden nicht ohne Weiteres etwa in den USA vollstreckbar sind) – nicht aber auf Anbieter mit Niederlassung in einem anderen EU-Mitgliedstaat.

Die großen Plattformen, die bei der Diskussion über ein Social Media-Ban immer wieder genannt werden, haben ihre EU-Hauptsitze in Irland. Sie unterliegen damit neben den unmittelbar geltenden EU-Vorschriften wie dem DSA nur den nationalen irischen Gesetzen. Deutsche Gesetze können wegen des Herkunftslandprinzips keine Wirkung gegenüber diesen Anbietern entfalten. Ein nationaler Social Media-Ban in Deutschland wäre also letztlich für die Anbieter, auf die die Diskussionen verweisen, nicht bindend und damit auch nicht umsetzbar.

Frage der Verhältnismäßigkeit angesichts der Datenlage: Eignung, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit (auch mit Blick auf kinderrechtliche Gehalte)

Wischte man die bisherigen Probleme bei der Einführung eines gesetzlichen Social Media-Bans in Deutschland beiseite, stellte sich immer noch die grundsätzliche Frage, ob ein Totalverbot für Unter-16-Jährige verhältnismäßig wäre. Als Verbotsvorschrift würde eine solche Vorschrift die Grundrechte der betroffenen Anbieter und der betroffenen Kinder und Jugendlichen erheblich beschneiden. Der Gesetzgeber kann aber nur dort verfassungsgemäß in Grundrechte eingreifen, wo die geplante Maßnahme geeignet, erforderlich und zumutbar ist (sog. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz). Im Hinblick auf alle drei Prüfschritte aber stellt sich ein Social Media-Ban als nicht trivial heraus:

So ist fraglich, ob ein Ban überhaupt geeignet ist, das politisch gewünschte Ziel – Aufwachsen online ohne schädliche Einflüsse durch Social Media – zu erreichen. Die empirische Evidenz des Zusammenhangs von Social Media-Nutzung durch Jüngere und deren Wohlbefinden ist nämlich überaus komplex. Wir wissen, dass es statistische Zusammenhänge gibt zwischen besonderen Formen der Social Media-Nutzung und der Wahrscheinlichkeit, etwa mit dem eigenen Körper unzufrieden zu sein. Die Wirkungsforschung kann hier aber auch mit Blick auf die vielfältigen Erscheinungsformen und Ursachen von psychischen Belastungen und Störungen aber keine kausalen Verläufe nachweisen. Wenn aber unklar ist, ob allgemein die Nutzung von Social Media durch Jüngere allein oder mit ausschlaggebend ist für Beeinträchtigungen beim gesunden Aufwachsen, so bleibt ungewiss, ob ein Verbot im Umkehrschluss dann auch eine messbare positive Konsequenz für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen hat. Aktuelle Studien zeigen, dass es keine Hinweise darauf gibt, dass Social Media Bans tatsächlich positive Effekte haben (; s. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC11554337/https://www.manchester.ac.uk/about/news/social-media-bans/). Die Datenlage ist hier also alles andere als klar – auch wenn Politikerinnen und Politiker dies gerne suggerieren.

Ein weiterer Aspekt der fraglichen Eignung eines Bans ist die Einfachheit der Umgehbarkeit: Es wird immer Nationalstaaten geben, die keine Altersbeschränkungen vorsehen, so dass Kinder und Jugendliche dort Social Media rechtlich einwandfrei nutzen dürften. Mit zwei bis drei Klicks aber ist auf jedem Smartphone und jedem PC ein kostenloser VPN-Tunnel („Virtual Private Network“) eingerichtet, durch den es für einen Social Media-Anbieter so aussieht, als käme eine Nutzerin oder ein Nutzer aus einem Land ohne Altersbeschränkungen. Insbesondere aus Ländern oder US-Bundesstaaten, die in den letzten Jahren Zugänge zu pornografischen Inhalten von Altersüberprüfungen abhängig gemacht haben, wissen wir, dass die Nutzung solcher VPN-Dienste in der Folge massiv ansteigt (z.B. Texas, Florida). Außerdem gibt es weltweit unzählige Angebote zur sozialen Vernetzung, die sich an nationale Vorgaben wie einen Social Media-Ban nicht hielten und stets für deutsche Kinder und Jugendliche erreichbar wären. Es entstünde so die Gefahr, dass Minderjährige wegen eines nationalen Verbots in weniger rechtlich umhegte Bereiche des Netzes ausweichten.

Daneben müsste ein Social Media-Ban erforderlich sein, um das verfassungsrechtlich gewünschte Ziel zu erreichen. Insbesondere dürfte es kein milderes Mittel geben, mit dem man ein gleichwertiges Ergebnis erzielen würde. Hier hat in den letzten Jahren die wissenschaftliche Diskussion um Online-Alterskontrollen und die möglichst positive Nutzung von Social Media-Angeboten gezeigt, dass angesichts der vielen positiven Nutzungsmöglichkeiten und kreativen und sozialen Potenziale, die Kinder und Jugendliche über Social Media-Angebote ausleben, vor allem Maßnahmen weiterführend erscheinen, die eine altersangemessene Nutzung dieser Plattformen ermöglichen. In just diese Richtung geht Art. 28 Abs. 1 DSA: Ein risikobasierter Ansatz, der die Anbieter von Online-Plattformen dazu verpflichtet, ein hohes Maß an Privatheit, Sicherheit und Schutz auf ihren Plattformen für Minderjährige zu gewährleisten. Die herrschende Meinung geht davon aus, dass aus dieser Vorschrift eine Verpflichtung der Anbieter erfolgt, ihre Plattformen altersangemessen zu gestalten, so dass für Minderjährige Inhalte und Funktionen ihrem jeweiligen Alter gemäß zur Verfügung stehen (vgl. https://leibniz-hbi.de/hbi-publications/staerkung-kinderrechte-digital-services-act/). Diese Maßnahme – die durch Art. 28 DSA bereits existiert – stellte sich im Vergleich mit einem Totalverbot insoweit als milderes Mittel dar.

Ein Social Media-Ban erschiene zudem insbesondere im Hinblick auf die Zumutbarkeit der Maßnahme schwierig: Ein Verbot ist nicht nur für die Anbieter ein erheblicher Grundrechtseingriff, sondern auch für die vom Verbot betroffenen Kinder und Jugendlichen. Allen Minderjährigen unter 18 Jahren stehen neben den verfassungsrechtlich verbürgten Rechten und Freiheiten wie der Informationsfreiheit und der Meinungsfreiheit zusätzlich spezifische Kinderrechte zur Verfügung, die sich aus der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK, https://www.unicef.de/informieren/ueber-uns/fuer-kinderrechte/un-kinderrechtskonvention) ergeben. Neben dem Grundsatz des Kindeswohlinteresses, dass bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, zuvörderst auf das Interesse der Kinder abzustellen ist (vgl. https://www.unicef.org/innocenti/innocenti/reports/best-interests-child-relation-digital-environment), enthält die Kinderrechtskonvention Rechte auf Schutz, aber eben auch und gleichberechtigt auf Befähigung und Teilhabe (insb. Art. 12 UN-KRK). Für den digitalen Raum ergibt sich mit Blick auf die Konvention, dass ein Komplettverbot vor allem die Schutzgehalte der Konvention umsetzen würde, die Rechte auf Befähigung und Teilhabe aber faktisch vollständig unberücksichtigt lässt (vgl. https://www.bzkj.de/bzkj/service/alle-meldungen/debatte-um-social-media-verbot-junge-menschen-haben-ein-recht-auf-digitale-teilhabe-251386). Der Zugang zu für ihre Interessen und ihre Entwicklung relevanten Informationen, zu Unterhaltung und zu sozialen Interaktionen (auch) mit Freunden und Gleichaltrigen wäre dadurch im Hinblick auf diese zentralen Plattformen ausgeschlossen. Zudem verhindert ein Social Media-Ban die effektive Befähigung von Jüngeren zum Umgang mit entsprechenden Angeboten; wie sollen junge Menschen auf diesen und über diese Plattformen lernen, wenn ihnen der Zutritt verweigert ist? Die OECD kommt zu dem Schluss, dass ein Komplettverbot zudem eine etwaige positive Begleitung durch Eltern, Erziehende und Fachkräfte ausschließt (https://www.oecd.org/en/publications/how-s-life-for-children-in-the-digital-age_0854b900-en.html).

Auch das Erziehungsrecht der Eltern wäre durch das Totalverbot betroffen: Selbst wenn die Erziehungsberechtigten wollten dürften die Plattformen zu jungen Menschen keinen Zugang gewähren. Damit setzte sich der Staat vor das Erziehungsrecht der Eltern. Soweit das mit der Übernahme des Wächteramts begründet werden sollte, die dem Staat eine aushilfsweise Übernahme des Erziehungsrechts gewährt, wenn Eltern ihren Rechten und Pflichten nicht nachkommen können oder wollen, trägt dieses Argument nicht. Das Wächteramt des Staates aus Art. 6 Abs. 2 GG zielt auf die (Wieder-)Ermöglichung der Übernahme elterlicher Erziehungsrechte und -pflichten, nicht auf die anhaltende Abnahme von Erziehungsentscheidungen durch den Staat. Dass in Umfragen Eltern mehrheitlich einem Social Media-Verbot zustimmen, kann an diesen verfassungsrechtlichen Grundlagen nichts ändern. Eltern können ihre Erziehungspflichten nicht einfach dem Staat überantworten, sondern sie müssen diese grundsätzlich selbst und im Interesse des Kindes ausüben.

Insgesamt erscheint die Verhältnismäßigkeit eines Social Media-Bans mit Blick auf verfassungsrechtliche und kinderrechtliche Gewährleistungen auf recht wackeligen Beinen zu stehen. Um dies abschließend beurteilen zu können, wäre eine ausführliche Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderlich, die in dieser Kurzanalyse nicht geleistet werden kann; aber die Problempunkte sind genannt.

Mit Blick auf die Überlegungen zu der Verhältnismäßigkeit eines Totalverbots wird auch klar, warum ein gesetzliches Zugangsverbot Minderjähriger etwa bei Pornoplattformen im Vergleich zu Social Media-Angeboten als eher verhältnismäßig erscheint: Der absolute Großteil der Inhalte bei Social Media-Angeboten ist mit Blick auf die Entwicklung von Minderjährigen harmlos oder gar vorteilhaft, während die Mehrheit der Inhalte bei pornografischen Angeboten insbesondere bei Jüngeren zu Beeinträchtigungen ihrer sexuellen Entwicklung, sexuellen Identität und ihrer sozialethischen Orientierung führen können.

Insgesamt erscheint ein gesetzliches Verbot ganzer Plattformen, deren Inhalte zu großen Teilen keine Jugendschutzrelevanz besitzen, für Minderjährige auf zahlreiche Hürden zu treffen. Das betrifft die Frage der Möglichkeit nationaler Regelungen für Online-Plattformen überhaupt, den konkreten Anwendungsbereich, die Geltung für Angebote aus anderen EU-Mitgliedstaaten und die Verhältnismäßigkeit, vor allem mit Blick auf die ungesättigte empirische Grundlage von Wirkungen der Social Media-Nutzung einerseits und der Effektivität von Social Media-Bans andererseits.

Hürden bei dem Erlass einer europäischen Regelung

Wenn der Erlass einer nationalen gesetzlichen Regelung für ein Zugangsverbot Unter-16-Jähriger zu Social Media-Angeboten so schwierig ist, könnte alternativ der EU-Gesetzgeber tätig werden? In den Diskussionen wird teilweise gefordert, das „Problem“ auf europäischer Ebene zu lösen; in diese Richtung gehen etwa Forderungen aus Belgien oder Dänemark (vgl. https://www.euractiv.com/section/tech/news/exclusive-copenhagen-eyes-social-media-ban-for-children-over-data-harvesting-fears/).

Und in der Tat: Die oben beschriebene Problematik des möglichen Anwendungsvorrangs stellte sich bei einer europäischen Norm – etwa im Rahmen einer EU-Verordnung – nicht, auch die Hürde des Herkunftslandprinzips wäre umschifft. Es blieben aber auch auf dieser Ebene die Probleme des schwierig abzusteckenden Anwendungsbereichs und die grundsätzliche Frage der Verhältnismäßigkeit. An der schwachen empirischen Evidenz ändert sich durch eine Verlagerung der Gesetzgebung in Richtung EU-Parlament und Rat nichts.

Fazit der Kurzanalyse

Statt pauschaler Verbote – wie teils in der Politik gefordert – sollte angesichts der rechtlichen, umsetzungsbezogenen und faktischen Hindernisse eher der bereits im DSA angelegte risikobasierte Ansatz konsequent umgesetzt werden. Strukturelle Vorsorgemaßnahmen, Medienkompetenzförderung und altersgerechte Gestaltung der Plattformen können die staatlichen Schutzziele erreichen, ohne die fundamentalen Rechte von Kindern und Jugendlichen zu verletzen.

Mit Blick auf die zahlreichen und signifikanten Hürden erscheint ein Social Media-Verbot vor allem als rechtspolitische (Schein-)Maßnahme, die an der komplexen Realität digitaler Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen vorbeigeht und mehr rechtliche und faktische Probleme schafft als löst. Die wissenschaftliche Debatte ist hier viel weiter: Risikobasierte Ansätze, nicht pauschale Verbote, sind der angemessene Weg für zeitgemäßen Schutz und kinderrechtsgewährleistender Befähigung und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen im digitalen Raum.

Foto: KI generiertes Symbolbild einer Straße mit vielen Hürden

Der Weg in die Bund-Länder-Finanzierung

Seit 2019 ist das HBI Mitglied der renommierten Leibniz-Gemeinschaft. Von einem verwegenen Gedanken bis zur Aufnahme hat es gute 20 Jahre gedauert und vieler Hilfe bedurft, berichtet dieser Blog-Beitrag.

Von Wolfgang Schulz

Der Plan ging auf. Ende der 1990er Jahre hatte der damalige HBI-Direktor Otfried Jarren einen verwegenen Gedanken: den Wissenschaftsrat, das höchste Gremium zur Evaluation wissenschaftlicher Qualität in Deutschland, zu bitten, das Institut zu beurteilen. Eigentlich war der Wissenschaftsrat dafür gar nicht zuständig, das Institut war viel zu klein, nur vom Land Hamburg finanziert und kein Teil eines Verbundes.

Aber es funktionierte. Der Abschlussbericht kam ohne Vorankündigung an einem Freitag im Mai 1999, kurz vor dem Geburtstag des Instituts, und wurde mit einigem Herzklopfen gelesen. Die Erleichterung war schließlich riesig und der Gedanke reifte, das Institut in eine Bund-Länder-Finanzierung zu bringen.

Es dauerte dann noch einige Jahre und bedurfte einiger Anstrengungen, bis erneut eine Evaluationsgruppe des Wissenschaftsrats an die Tür der HBI klopfte, diesmal informaler Mission: Um zu erkunden, ob die Leistung des HBI würdig sei, das Institut in die Leibniz-Gemeinschaft aufzunehmen.

Dem waren interne Anpassungen vorausgegangen: Die Umstellung der Forschungsplanung auf Programme wie bei Leibniz üblich, das Onboarden von Kristina Hein als Kaufmännischer Geschäftsführung. Und die Stadt Hamburg – bis hinauf zum damaligen Ersten Bürgermeister Olaf Scholz – sagte zu, die Voraussetzungen für eine Aufnahme in die Gemeinschaft zu schaffen, das hieß vor allem, die Zuwendung auf den Mindestbetrag für Leibniz-Institute zu erhöhen.

Der Wissenschaftsrat gab grünes Licht und das mit Formulierungen, die im Institut gern zur Aufmunterung an wetterbedingt tristen Tagen wieder hervorgeholt und rezitiert werden.

Seit 2019 ist das Institut nun aktiver Teil der Leibniz-Gemeinschaft. Die Aufnahme kommt mit einigen Verpflichtungen, etwa alle sieben Jahre Evaluationen die Tür zu öffnen, aber sie öffnet auch viele Möglichkeiten des Erfahrungsaustausches und der Zusammenarbeit mit anderen Leibniz-Instituten.

Und die Finanzierung durch alle Länder und den Bund, die alle Leibniz-Institute erhalten, gibt Sicherheit in Zeiten, in denen leider nicht mehr auszuschließen ist, dass irgendwann wissenschaftsfeindliche Parteien Regierungen bilden und unliebsame Institute drangsalieren oder gar schließen wollen.

Der etwas umständliche Name „Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut“ zeugt von dem Bestreben, sich als Teil des renommierten Verbundes darzustellen und gleichzeitig die eingeführte Bredow-Marke fortzuführen.

Auch interne Mails an alle beginnen meist mit „Liebe Leibniz-Bredows“.

Foto: Auszug aus der Pressemitteilung des Wissenschaftsrats vom 21. Mai 1999

Forschungsfinanzierung und Projekttypen

Grundlagenforschung „höchster Qualität“ (etwa DFG-finanziert) und die praxisorientierte Erarbeitung von Wissensgrundlagen für die Regulierung existieren am HBI als unterschiedliche Projekttypen nebeneinander, erläutert dieser Blogbeitrag.

Von Wolfgang Schulz

Der Neujahrstag 1984 wird oft als Zeitpunkt eines medialen „Urknalls““ beschrieben. Mit Kabelpilotprojekten begann die Zeit des privaten Rundfunks, der sich anschickte, den davor allein Rundfunk betreibenden öffentlich-rechtlichen Anstalten publizistische Konkurrenz zu machen. Da schon damals die Mission des Instituts darin bestand, die jeweils aktuellen medialen Entwicklungen besser zu verstehen, begann für
das Institut eine Phase mit neuen Themen, aber auch mit neuen Projekttypen und neuer Projektfinanzierung.

Die für die Aufsicht privaten Rundfunks geschaffenen Landesmedienanstalten begannen früh, Forschungsaufträge zu vergeben, und es entstand nicht nur eine neue potenzielle Quelle für Projektmittel, sondern auch eine neue Projektgattung, nämlich Forschung, die explizit darauf zielte, Wissensgrundlagen für Regulierung zu schaffen.

So tauschten Forschende des HBI kurzzeitig den Elbstrand mit dem Rheinischen Schiefergebirge und fanden sich in Gesprächen mit Lokalpolitiker*innen in Siegen-Wittgenstein wieder, um das Lokalfunkmodell in Nordrhein-Westfalen besser zu verstehen. Die Landesmedienanstalten beteiligten sich eine Zeit lang sogar institutionell an der Finanzierung des Instituts.

Der regulierungsbezogene Projekttyp spielt bis heute eine Rolle im Portfolio des Instituts, allerdings als ein Typ unter vielen anderen. Und die Zahl derer, die hier regulatorisch tätig sind, hat sich vermehrt und zum Teil haben sich die Aktivitäten
auf die europäische Ebene verlagert. Schon 2003 hielt die damalige EU-Kommissarin Viviane Reding einen Vortrag am Institut und erweckte in einer charmanten Übertreibung den Eindruck, die Europäische Kommission sei ohne die Expertise
des HBI faktisch handlungsunfähig.

Mit der Aufnahme in die Leibniz-Gemeinschaft und der damit verbundenen Evaluation, die sich neben Transfer von Erkenntnissen vor allem an wissenschaftlicher Exzellenz orientiert, wurden für das Institut Projekte relevanter, die auf der Grundlage von wissenschaftlichen Peer-Reviews vergeben werden, wie etwa bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Und die Arbeitsformen werden noch vielfältiger: von bis zu achtjährigen Forschungsgruppen bis hin zu Research Clinics, die in wenigen Tagen interdisziplinärer Arbeit problemlösende Erkenntnisse zu Tage fördern sollen.

Als mit sicherer Bund-Länder-Förderung ausgestattetes Leibniz-Institut kann das HBI die Art von Drittmittel-Projekten weitgehend frei wählen, je nach Erkenntnisinteressen und programmatischen Zielen.

Foto: Plakat zur Ankündigung einer Bürgerstunde mit Rudolf Mühlfenzel über die Kabelpilotprojekte am 14. November 1983 in München

Erkenntnisse ohne Scheuklappen: Interdisziplinarität als wissenschaftliche Superkraft

In seiner Forschung verbindet das Institut verschiedene wissenschaftliche Disziplinen: Im Vordergrund stehen die Perspektiven einer empirisch fundierten Sozialwissenschaft sowie einer auf Regulierungsprozesse ausgerichteten Rechtswissenschaft; hinzu treten seit einigen Jahren Perspektiven aus der Informatik. Die Verbindung dieser Perspektiven ist eine der Besonderheiten, die das Institut gegenüber anderen Forschungseinrichtungen in Deutschland und im Ausland auszeichnen.

von Stephan Dreyer

Disziplinen sind die ordnungsstiftenden Kategorien der Wissenschaft. In ihnen erfolgen die Diskussionen, Debatten und Weiterentwicklungen des „Fachs“, und über die disziplinär ausgerichteten Universitäten erfolgt die curriculare Rückbindung und Weiterentwicklung (auch) der entsprechenden fachlichen Ausbildung.

Viele große Fragen unserer Zeit wie Digitalisierung, Mediatisierung oder gesellschaftlicher Zusammenhalt aber passen sich selten den klassischen Wissenschaftsdisziplinen an. Sie sind komplex und vielschichtig und rufen nach Perspektiven und Antworten, die weit über ein einzelnes Fachgebiet hinausblicken. Unabhängige  Forschungseinrichtungen können hier flexibler und fachübergreifend mit ihrer strategischen Ausrichtung, den Denominationen ihrer Forschungsstellen und ihren Einstellungspraktiken verfahren. Dass das so entstehende kreative Vexierspiel der verschiedenen Perspektiven auf gleiche Forschungsgegenstände besondere Zugänge und Erkenntnisse zur Folge haben kann, ist die erste Erkenntnis der sogenannten „Interdisziplinaritätstheorie”.

Voraussetzung gelingender fächerübergreifender Zusammenarbeit ist neben der Offenheit für andere wissenschaftliche Perspektiven die Exzellenz im jeweils eigenen Fach – „standing on the shoulders of giants“. Interdisziplinarität ist seit spätestens 1979 Teil der DNA des Hans-Bredow-Instituts: Mit der Verbindung kommunikations- und rechtswissenschaftlicher Perspektiven entstanden früh interdisziplinäre Forschungsaktivitäten und Arbeitsformen, die sich mit Blick auf die wissenschaftliche Ausdifferenzierung über die Jahre um Expertise aus den Bereichen Medienpsychologie, Medienökonomie, Medienpädagogik, Mediengeschichte und zuletzt Computational Social Science und Informatik erweiterte. Durch die verstetigte disziplinenübergreifende wissenschaftliche Leitung war und ist der interdisziplinäre Zugang des Instituts zu „seinen“ Forschungsgegenständen und -themen nicht nur eine strategische Absicht, sondern ständig gelebte Forschungspraxis.

Die Offenheit gegenüber anderen Disziplinen und Zugängen und die enge Zusammenarbeit sowie der Austausch sind das Multitool des HBI, mit dem sich gesellschaftliche Transformationen und Herausforderungen ganzheitlicher beobachten und analysieren lassen. Durch die Verzahnung von Denkweisen, Methoden und Wissensbeständen der beteiligten Disziplinen können neue (theoretische oder konzeptionelle) Ideen und innovative, auch methodische Ansätze entwickelt und weiterentwickelt werden.

Mit interdisziplinär funktionierenden Brückenkonzepten und -begriffen (z. B. kommunikative Figuration, Meinungsbildung), mit Mixed Methods-Innovationen oder mit regelmäßigen fachübergreifenden Kolloquien und Klausuren hat das Institut über die individuelle Öffnung der Forschenden hinaus auch institutionelle Strukturen, Arbeitsformen und Orte geschaffen, die Anreize für ganzheitlichere Zugänge zu Forschungsfragen und -objekten setzen. Mit diesem Interdisziplinaritätsverständnis ist das HBI gestern, heute und morgen in der Lage, einen umfassenderen Blick auf die Herausforderungen unserer Zeit zu werfen und gesellschaftlich relevantere Forschungsergebnisse zu produzieren.

Bild: Alle Disziplinen an einem Tisch: das Forschungskolloquium des Instituts im Mai 2016 (Foto von Mascha Brichta)

„Wer, wie was? Wieso, weshalb, warum?“ Medienforschung zeigt Wirkung

Mediennutzungsforschung spielt eine bedeutende Rolle am HBI. Als eine der ersten großen Studien in diesem Bereich wurde ab 1973 die Nutzung der deutschen Fassung der Sesame Street von einer Forschungsgruppe am HBI untersucht. Wie dies zur auch zur Verbesserung der Bildungsangebote für Vorschulkinder beitrug, schildert dieser Blog-Beitrag.

Von Claudia Lampert

Die rhythmische Reihung, die ein wenig an die Lasswell-Formel erinnert, verweist auf eine der wohl bekanntesten Kindersendungen, die zugleich ein bedeutendes Kapitel in der Institutsgeschichte und in der Nutzungs-, Wirkungs- und Bildungsforschung markiert: die Sesamstraße.

Als die Sesamstraße 1973 in Deutschland als erstes Bildungsprogramm für Vorschulkinder auf Sendung ging, markierte dies nicht nur einen wichtigen Meilenstein für das Bildungsfernsehen, sondern auch für die Mediennutzungs- und Wirkungsforschung am HBI – und darüber hinaus. Das Institut übernahm die Begleitforschung zu diesem besonderen Fernsehexperiment – mit innovativen Methoden und weitreichenden Folgen.

Das Team um Margot Berghaus, Janpeter Kob, Helga Marencic und Gerhard Vowinckel kombinierte Sendungsanalysen, Beobachtungen, Interviews, Verhaltens-, Fertigkeiten- und Informationstests, Eltern- und Erzieher*innenbefragungen und Repräsentativerhebungen. Mit diesem aufwändigen Multimethoden-Ansatz wurde erstmalig und umfänglich untersucht, wie Vorschulkinder Fernsehinhalte verstehen und verarbeiten.

Es konnte nachgewiesen werden, dass ein gut gemachtes Unterhaltungsangebot durchaus Bildungspotenzial hat. Es wurde jedoch auch festgestellt, dass Kinder mit mehr elterlicher Begleitung und eher aus der Mittelschicht stärker vom Angebot profitierten als Kinder aus Familien mit weniger elterlicher Begleitung und mit eher niedrigerem sozialökonomischen Hintergrund. Eine Testung von US-amerikanischen und deutschen Episoden war zudem für die Sendung selbst folgenreich: Die amerikanischen Straßenszenen wurden durch ein anderes Setting ersetzt und der Riesenvogel Bibo und der etwas mürrische (aber ungemein liebenswerte) Oskar mussten Platz machen für einen tollpatschigen Bären, einen neunmalklugen Vogel und ein affektiertes Meerschweinchen.

Und die Moral von der Geschicht? Eine gut gemachte Nutzungs- und Wirkungsforschung kann nicht nur Wirkungen und Bedeutungszuschreibungen erfassen, sondern auch
(formativ-begleitend) einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung von Bildungsangeboten leisten. Ob allerdings Oskar und Bibo den (Bildungs-)Erfolg der Sendung wirklich geschmälert hätten? Ein Restzweifel bleibt.

Bild: Figuren aus der Sesamstraße, © NDR/Childrens Television Workshop/Richard Termine/CTW

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