Müssen, sollen, dürfen digital bearbeitete Fotos in sozialen Medien gekennzeichnet werden? Im Auftrag der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) untersucht das HBI die Notwendigkeit einer gesetzlichen Kennzeichnungspflicht für bearbeitete Fotos und Videos.
Vor dem Hintergrund potenzieller negativer Auswirkungen manipulierter Bilder auf das Körperbild, insbesondere von Jugendlichen, analysiert ein interdisziplinäres Team am HBI den aktuellen Stand der Wirkungsforschung, die Erfahrungen mit bestehenden Regelungen in anderen Ländern (Israel, Frankreich und Norwegen) und identifiziert die Voraussetzungen für wirksame Kennzeichnungen. Falls nötig, erarbeitet das interdisziplinäre Projektteam auf Basis der Erkenntnisse einen Vorschlag für eine angemessene gesetzliche Regelung in Deutschland.
Das Gutachten soll politischen Entscheidungsträgern eine fundierte Grundlage für mögliche regulatorische Maßnahmen im Bereich digitaler Bildmanipulation bieten.
Hintergrund und Gutachtenfragen
Die fortschreitende Digitalisierung und der Aufstieg sozialer Medien haben die Mediennutzung und die Art und Weise, wie Menschen miteinander interagieren, grundlegend verändert. Insbesondere der rasante Aufstieg von Plattformen wie Instagram oder TikTok hat zu einem erheblichen Anstieg von visuellem Content in Form von nutzergenerierten Fotos und kurzen Videos geführt, die häufig bearbeitet oder retuschiert sind – auch, weil unter anderem die Plattformen selbst niedrigschwellige Möglichkeiten für den Einsatz von Effekten und Filtern anbieten. Viele Creator*innen, Influencer*innen, Celebrities und auch gewöhnliche Nutzer*innen bearbeiten ihre Fotos, um ein idealisiertes Bild von sich selbst zu präsentieren. Während dies in einigen Fällen als künstlerischer Ausdruck oder Marketingstrategie verstanden werden kann, bergen retuschierte Darstellungen Risikopotenziale für einzelne Personen, Personengruppen und die Gesellschaft insgesamt.
Wo soziale Medien als (neue) Sozialisationsinstanz fungieren und Darstellungen zu den Themen Aussehen, Selbstdarstellung und Geschlechterrollen (besonders) relevant für Kinder und Jugendliche sind, können ubiquitäre bearbeitete Fotos unrealistische Schönheitsideale vermitteln. Jugendliche und ältere Kinder, die sich in der Phase der Identitätsentwicklung befinden, sind besonders anfällig für visuelle und von idolisierten Personen vermittelte Botschaften in sozialen Medien, auch und gerade angesichts der dortigen Feedback-Kultur durch Likes und Kommentare, die vermeintliche Schönheitsideale verstärken und perpetuieren. Gleichzeitig sind sie – wie die meisten Erwachsenen auch – oft nicht in der Lage, die Diskrepanz zwischen den retuschierten Darstellungen und der Realität zu erkennen, was zu einem verzerrten Fremd- und Selbstbild führen kann. Der Druck, einem bestimmten Aussehen zu entsprechen, kann zu niedrigem Selbstwertgefühl, Körperunzufriedenheit und Folgeproblemen wie Essstörungen oder dem Wunsch nach kosmetischen Eingriffen führen.
Die angerissene Problematik wird durch die zunehmende Nutzung von Anwendungen generativer Künstlicher Intelligenz (KI) weiter verstärkt: Die KI-Technologien ermöglichen es, Bilder nicht nur zu retuschieren, sondern auch vollständig künstlich zu erzeugen. Dies erschwert die Unterscheidung zwischen authentischen und manipulierten Bildern zusätzlich. Die zunehmende Verwendung solcher Technologien in der Medienproduktion kann dazu führen, dass die Grenzen zwischen Realität und Fiktion noch schwieriger zu bestimmen sind.
Vor diesem Hintergrund wird die Notwendigkeit einer gesetzlichen Kennzeichnungspflicht für bearbeitete Fotos und Videos diskutiert. Der Ansatz dabei ist, dass eine solche Pflicht dazu beitragen könnte, Transparenz und Aufmerksamkeit auf der Seite der Rezipient*innen zu schaffen und so bestenfalls die retuschierten Darstelllungen innewohnenden Beeinträchtigungspotenziale zu reduzieren. In mehreren Ländern sind entsprechende Vorschriften bereits in Kraft, darunter in Israel (2013), Frankreich (2019) und Norwegen (2021). Derartige neue Ordnungsrahmen werden diskutiert unter dem Begriff der „body image laws“.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie eine solche Kennzeichnungspflicht wirksam und praktikabel umgesetzt werden kann, ohne künstlerische Freiheiten, die Meinungsfreiheit oder kommerzielle Interessen unverhältnismäßig einzuschränken.