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Nein, Elon Musk, so geht Plattformdemokratie nicht

Nein, Elon Musk, so geht Plattformdemokratie nicht

01.12.2022

Nach einer Online-Abstimmung hat Elon Musk den Twitter-Account von Donald Trump wieder freigeschaltet mit den Worten: „The people have spoken. Trump will be reinstated. Vox Populi, Vox Dei”. Plattformdemokratie funktioniere anders, meint Matthias C. Kettemann.
 
Dieser Beitrag erschien zuerst auf verfassungsblog.de
 
Grundlage für Musks Entscheidung war eine Online-Abstimmung mit 15 Millionen Teilnehmer*innen, die 51,8% zu 48,2% für eine Entsperrung von Trumps Account ausgegangen ist. Die Knappheit des Ergebnisses ist bemerkenswert, weil zumindest die klassischen Follower von Musk eher libertär orientiert sind und auch Musk hat – zumindest solange es ihm nicht um Geld geht – einer unkritischen Glorifizierung des freien Meinungsaustauschs gehuldigt.
 
Das Problem liegt aber tiefer: So geht digitale Demokratie nicht, so geht Plattformregulierung nicht. Klar, in der „mediatisierten Demokratie” bedarf repräsentative Demokratie technischer Vermittlung, aber, wie Digitalforscherin Jeanette Hofmann schreibt, ist das „sich wandelnde Zusammenspiel von demokratischer Organisation und Kommunikationsmedien […] eine kontingente Konstellation”. Die Transformation der repräsentativen Demokratie ermögliche ein „Experimentieren mit neuen Formen demokratischen Handelns”. Dies hat Elon Musk nun zum Anlass genommen, mit Twitter-Volksabstimmungen zu experimentieren. Das ist natürlich leichter, als sich zu überlegen, wie mit Accounts umzugehen ist, die Regeln verletzen. Dies ist indes unumgänglich.
 
Meta hat es sich nicht so leicht gemacht: In einer profund recherchierten Studie der ersten beiden Jahre Aktivitäten des Meta Oversight Boards identifiziert Steven Levy für Wired, welche zentralen Konflikte sich bei der Plattform-Governance stellen und wie Meta mit dem Board ein Wagnis eingegangen ist, das sowohl positive wie auch negative Deutungen zulässt, jedenfalls aber eine mögliche Antwort auf die zentrale Frage der Plattform-Governance ist: Wie können die Regeln und Praxen der Online-Inhalteregulierung optimiert werden und dies gerade mit Blick auf bekannte Accounts?
Wir alle sind Stakeholder
Diese Fragen gehen uns alle etwas an. Man muss nicht Jürgen Habermas’ pessimistische Einschätzung des neuen Strukturwandels der Öffentlichkeit teilen (Vielstimmigkeit ohne kompetente Moderation ist schlecht), auch wenn die neue Kommunikationsrealität jedenfalls dem Modell quo ante (Meinungs-Governance als Elitenprojekt) vorzuziehen ist. Man muss aber anerkennen, dass Entscheidungen über Kommunikationsregeln und deren Durchsetzung durch eine breitere Beteiligung besser und differenzierter ausfallen und auch als legitimer angesehen werden. Wir alle haben ein „stake”, ein wertunterlegtes Teilhabeinteresse, an den Ergebnissen der Regulierung von Plattformen und an der Art, wie Plattformen selbst Regeln setzen und durchsetzen.
 
Klar, Onlinekommunikation ist komplex. Normative Ordnungen sind entweder öffentlich oder privat oder gemischt (hybrid). Private Ordnungen, die auf Verträgen beruhen, sind legitim und oft erfolgreich bei der Regulierung von Kommunikationsräumen. Plattformordnungen sind im Kern privat. Aber eben nicht nur: In den letzten Jahren sind sie zunehmend mit hybriden (öffentlichen) Elementen durchsetzt worden, da diese Kommunikationsräume zunehmend einen demokratischen Diskurs tragen.
Neue Modelle der Plattformdemokratie
Hybride normative Ordnungen sind sowohl durch private als auch öffentliche Merkmale gekennzeichnet, die sich auf die Eigentumsverhältnisse, Teilnehmer*innen, Ausrichtung und ihnen eingeschriebene Werte beziehen. Innerhalb hybrider Ordnungen stellen sich schwierige normative Fragen hinsichtlich der Anwendung von Grund- und Menschenrechten (Drittwirkung; horizontale Anwendung) und der Rolle, die Dritte (Nichtnutzer*innen, die Öffentlichkeit, die Gesellschaft) spielen sollten. Staaten regulieren zunehmend Onlinekommunikationsräume – und Plattformen experimentieren damit, Stakeholder-Beteiligung zuzulassen.
 
Hier sind seit einiger Zeit neue Modelle der Plattformdemokratie in Ausarbeitung, die auch schon im aktuellen Koalitionsvertrag Platz gefunden haben („Den Aufbau von Plattformräten werden wir voranbringen”, S. 14). Die NGO ARTICLE 19 veröffentlichte einen Bericht über ein Experiment mit einem Social Media Council in Irland. Harvard-Politikwissenschaftler Aviv Ovadya plädiert energisch für eine Demokratisierung von Plattformen durch Bürger*innenversammlungen. Meta hat angekündigt, im Dezember Community-Foren abhalten zu wollen, an denen fast 6.000 Menschen aus 32 Ländern und 24 Sprachen teilnehmen werden. Internationale Organisationen, wie die UNESCO, machen sich Gedanken darüber, wie die Kluft zwischen zentralisierter Regelsetzung und lokalen Stimmen bei der Moderation von Inhalten überbrückt werden kann (auch zum Nachhören).
 
Schnell mal seine Follower befragen, was sie von einer Account-Entsperrung halten, ist leicht. Diesen Ansatz zu kritisieren ebenso. Beides enthebt indes nicht von der Verantwortung, sich zu überlegen, welche Grundfrage der Verknüpfung von Plattformen und Demokratie hier gestellt wird.
Vox populi, vox Dei?
So einfach ist es mit der Stilisierung der Volksstimme zur alleinigen und primären Quelle der Legitimität von Entscheidungen nämlich nicht. Das lehren Jahrhunderte der kritischen Auseinandersetzung mit Legitimität, Rationalität und Repräsentativität. Das wusste übrigens schon Alcuin.
 
Alcuin, wie Oxfords „Essential Quotations” zu entnehmen ist, ist jener englische Gelehrter und Theologe des 8. Jahrhunderts, der als zentrale mittelalterliche Quelle für Vox populi, vox Dei gilt. Im Original liest man indes: Nec audiendi qui solent dicere, Vox populi, vox Dei, quum tumultuositas vulgi semper insaniae proxima sit. Nun muss Elon Musk nicht Latein können, eine Übersetzungsmaschine tut’s auch: Und man sollte nicht auf die Leute hören, die immer wieder behaupten, die Stimme des Volkes sei die Stimme Gottes, denn der Aufruhr der Menge ist immer sehr nahe am Wahnsinn.
 
‚Nahe am Wahnsinn’ wäre jetzt keine überschießende Beschreibung der erratischen Governance-Ansätze Musks in den letzten „terrible weeks“ auf Twitter. Indes ist, die Schweizer Verfassung nickt zustimmend, die Befragung des Volkes durchaus ein legitimes Mittel, um politische Entscheidungen zu treffen. Doch die Sicherstellung von guten Regeln und Moderationspraxen (und den normativen Regel-Algorithmen-Arrangements) in komplexen Plattformökosystemen kann man nicht zur Volksabstimmung stellen.
Nicht verrückt, aber nicht ausreichend rational
Verrückt ist es also nicht, das „Twitter-Volk” zu befragen, aber Plattformen müssen weit rationaler verwaltet werden. So leicht kann es sich Musk nicht machen. Governance von Plattformen macht nicht Spaß, wie evelyn douek schreibt, diese „cold dose of reality” wird Elon Musk noch zu spüren bekommen. Und leider wir alle auch. Das finden nicht alle schlecht: Mr. Beast, einer der erfolgreichsten Online-Content-Producer reagierte auf die Wiederfreischaltung von Trumps Konto mit einem Popcorn-Emoji.
 
Spannend wird’s, Zuschauen wird allerdings nicht reichen: Gerade jetzt ist die Plattformforschung gefragt – und die Regulatoren dies- und jenseits des Atlantiks. Auf den DSA und das Durchsetzungsinstrumentarium mit den Digital Service Coordinators kommt einiges an normativer Arbeit zu. Elon Musk indes hat schon etwas Neues vor. Sein aktuelles Versprechen: „best coverage by far” der Fußballweltmeisterschaft.


Headerbild: Gordon Johnson / pixabay

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