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Zwischen Fakten und Fiktion: Wie viel Fiktionalität verträgt ein historischer Instagram-Account?

Zwischen Fakten und Fiktion: Wie viel Fiktionalität verträgt ein historischer Instagram-Account?

03.01.2022

Um eine historische Figur wie Sophie Scholl auf Social Media zum Leben zu erwecken, braucht es sorgfältige Quellenarbeit und ein Quäntchen Fantasie. Wo endet Fakt, wo beginnt Fiktion? Eine Grenzwanderung mit Fallstricken


von Kira Thiel

Dieser Beitrag ist der zweite von sechs Teilen des Dossiers „Sophie Scholl auf Instagram: Eine kommunikations- und geschichtswissenschaftliche Untersuchung“. Eine Literaturliste zum gesamten Dossier finden Sie hier.


Die Notwendigkeit, die Geschichte an manchen Stellen auszuschmücken oder weiterzuerzählen, ergibt sich aus der Quellenlage. Denn obwohl viele Tagebucheinträge, Briefe und sonstige Aufzeichnungen der historischen Person überliefert sind, hat Sophie Scholl ihren Alltag selbstverständlich nicht lückenlos dokumentiert. Um trotzdem eine zusammenhängende Erzählweise zu ermöglichen, erlaubt sich das Team, historische Lücken und Unklarheiten „kreativ und in Abstimmung mit den Expert*innen zu schließen“ (SWR 2021). In solchen Fällen findet sich in der Kommentarspalte (unter dem Hashtag #teamSoffer) hin und wieder ein entsprechender, vom Social-Media-Team verfasster Hinweis. So steht etwa unter einem Beitrag, in dem Sophie detailliert von ihren Schwierigkeiten beim Briefmarkenkauf berichtet (Post vom 7.12.2021): „Es ist nicht belegt, woher die Weiße Rose tatsächlich ihre Briefmarken bezogen hat.“


Für die Macher*innen ist vor allem eine zusammenhängende Erzählweise, also ein dramaturgisch überzeugendes Storytelling wichtig (SWR 2021). Dieses soll für eine starke Zuschauer*innenbindung bzw. emotionales Involvement sorgen. Hierzu eignet sich die visuell geprägte Plattform Instagram grundsätzlich sehr gut. Auch die Entscheidung des Account-Teams für einen chronologischen Verlauf, also für eine Art digitales Tagebuch, befördert dieses Ziel. Damit verbunden ist sicherlich die Tatsache, dass vor allem Momente in die Erzählung eingebunden werden, die für die Erzeugung von Spannung besonders gut geeignet sind.
  
Die Unverzichtbarkeit von Fiktionalität bzw. von fiktionalen Elementen ergibt sich zudem aus der Wahl des Kommunikationskanals. Da im Jahr 1942 keine sozialen Medien existierten, ist die Frage, wie Sophie Scholl sich auf Instagram dargestellt und inszeniert hätte, logischerweise ein reines Gedankenspiel. Sichtbar wird dieser spielerische Charakter, das Spiel mit den Gestaltungsmöglichkeiten eigener Social-Media-Inhalte, unter anderem, wenn die fiktive Instagram-Sophie sich gängige Social-Media-Formate zu eigen macht: wenn sie beispielsweise ihre Life Hacks zum Thema „Schuhe putzen“ mit ihren Follower*innen teilt (Post vom 12.5.2021), „4 Debattier-Typen, die jeder kennt“ identifiziert (Post vom 15.5.2021) oder im Unboxing-Style ein Geburtstagspaket vor der Kamera auspackt (Post vom 9.5.2021).
 
 
Teil dieses Spiels ist auch das spezielle Community Management, das der Interaktivität sozialer Netzwerke Rechnung trägt. Dabei lassen sich seitens des Social-Media-Teams zwei Arten von Kommentaren unterscheiden: 1.) einordnende Kommentare, die mit dem #TeamSoffer versehen sind, die Kontext bieten, auf Fragen zum Projekt antworten oder eingreifen, wenn es historische Unverständlichkeiten oder – wie Beitrag 5 noch zeigen wird – problematische Nutzer*innenkommentare gibt (s. Meyer 2021); 2.) Kommentare in Sophie Scholls Namen, die auf „Fragen [und Kommentare] Bezug nehmen, die mit ihrer Lebenswelt und ihrer Zeit zu tun haben“ (ebd.). Letztere sind aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive besonders spannend, da sie durch die Bezugnahme auf und die Interaktion mit den Follower*innen das Immersionspotential des Angebots zusätzlich erhöhen und die Grenze von Realität und Fiktion stärker verschwimmen lassen als andere historische Unterhaltungsprodukte, beispielsweise Spielfilme.
 
In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass zur Beantwortung der eingangs aufgeworfenen Frage, wie viel Fiktionalität ein historischer Instagram-Kanal verträgt, auch die Reflexionsfähigkeit und die Medienkompetenz der Zielgruppe mitgedacht werden müssen. Denn Voraussetzung dafür, dass das Projekt nicht für Verwirrung oder eine verzerrte Wahrnehmung sorgt, ist, dass die Abonnent*innen durchschauen, dass es sich bei der auf Instagram dargestellten Sophie Scholl weder um eine real existierende Influencerin noch um eine wirklichkeitsgetreue Darstellung der historischen Person, sondern um eine fiktive Figur, eine gefilterte Version der echten Sophie Scholl, handelt (s. Meyer 2021).
 
Hinweise, dass es sich bei der gezeigten Sophie Scholl um die fiktionale Interpretation einer historischen Persönlichkeit handelt, gibt es durchaus: Zum einen wirken die Beiträge auf „@ichbinsophiescholl“, deren Szenenbild und Requisite das Projekt ganz offensichtlich in der Vergangenheit verorten, etwas aus der Zeit gefallen und unterscheiden sich von den Beiträgen realer Influencer*innen. Zum anderen funktioniert das doch recht lineare und kohärente, geradezu serielle Storytelling von „@ichbinsophiescholl“ anders als die Erzählweise „normaler“ Influencer*innen, deren Stories und Beiträgen deutlich weniger stringent aufeinander aufbauen. Dass es sich darüber hinaus um eine schauspielerische Darbietung handelt, wird an verschiedenen Stellen deutlich. Vor allem die Szenen und Dialoge in den Stories wirken sowohl inhaltlich als auch in ihrer Umsetzung gescriptet. Zudem findet sich neuerdings in der Kanalbeschreibung der Hinweis „Von SWR und BR“ sowie ein Link zur Landingpage. Einzelne Posts sind darüber hinaus mit dem SWR-Logo versehen. Nicht zuletzt unterscheidet sich das Angebot durch die Abwesenheit von Produktplatzierungen, Rabattcodes und Werbung von nicht-fiktionalen Accounts.
 
Inwieweit der fiktionale Charakter tatsächlich erkannt wird bzw. wie diese Form der historischen Inszenierung wahrgenommen wird, ließe sich nur anhand der Auswertung von Nutzer*innen-Kommentaren oder im Rahmen von Rezeptionsstudien beantworten. Wie die Antwort auf die oben aufgeworfene Frage nach der Verträglichkeit von Fiktionalität ausfällt, hängt letztendlich auch davon ab, welche Funktion dem Projekt zugeschrieben wird: reine Wissensvermittlung oder Unterhaltung mit Informationscharakter (Stichwort: Entertainment-Education).

Titelbild: Screenshot Instagram-Video @ichbinsophiescholl (BR & SWR)
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