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Kommunikation in Krisen: die Hamburger 2G-Option

Kommunikation in Krisen: die Hamburger 2G-Option

04.10.2021

Wie die in der Covid-19-Krise relevanten Akteure kommunizieren, welche Ziele und kommunikative Praktiken sich zeigen, hat ein HBI-Team im Projekt „Kommunikation in Krisen“ untersucht. Am Beispiel der Hamburger 2G-Option erläutert Corinna Endreß einige Studienergebnisse.
Von Corinna Endreß
 
 
In Hamburg haben Gastronomie- und Kulturbetreibende seit Kurzem die Möglichkeit, in ihrer Einrichtung ein „G“ der bisher bundesweit geltenden 3G-Regel zu streichen – das der Getesteten. Entscheiden sich die Betriebe für die 2G-Option, fallen für sie einige Beschränkungen weg, z. B. hinsichtlich der Anzahl der Gäste und der von ihnen einzuhaltenden Abstände.
 
Der neuen Regelung wird jedoch mit viel Skepsis und Unzufriedenheit begegnet. So machte ein Sprecher der DEHOGA im Hamburg Journal vom 25.08.2021 deutlich, dass die Einführung der 2G-Option den bestehenden Arbeitskräftemangel in der Gastronomiebranche nur weiter verschärfe, da die gesamte Belegschaft geimpft sein müsse, um die Option wählen zu können. Auch ein Ausweichen nicht geimpfter Menschen auf Betriebe in Schleswig-Holstein oder Niedersachsen aufgrund der uneinheitlichen Regelungen in den Bundesländern prophezeite er bedauernd. Grundsätzlich fühlten sich viele Restaurant-, Kultur-, Bar- oder Clubbetreibende vor den Kopf gestoßen – nicht nur, weil die Regelung sehr kurzfristig kam, sondern auch, weil in ihren Augen ein Umwälzen der Verantwortung von der Politik auf die Betreibenden stattfinde. Diese Aufgabe müssten viele aus wirtschaftlichen Gründen annehmen, andere wollten sie aus Unzufriedenheit mit dem Entscheidungsprozess (vorerst) nicht annehmen.
 
Das Projekt „Kommunikation in Krisen (KiK)“
Diese aktuelle Entwicklung reiht sich ein in einen nun schon anderthalb Jahre andauernden Prozess der stetigen Neuaushandlungen von Zielen, Interventionen und Verantwortungen während der Corona-Krise. Unser HBI-Projekt „Kommunikation in Krisen (KiK)“ hat sich mit diesem Prozess auseinandergesetzt. Ziel war es, anhand eines figurationstheoretischen Ansatzes die in der Krise relevanten Akteurskonstellationen sowie deren spezifische Handlungsorientierungen und kommunikative Praktiken herauszuarbeiten. Überdies hjaben wir die Herausforderungen analysiert, die sich aus der jeweiligen Figuration ergeben, um abschließend Empfehlungen für die Kommunikation in Krisen zu formulieren. Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Forschung und Wissenschaft gefördert.
 
An dem aktuellen Beispiel der 2G-Option in Hamburg lassen sich einige Erkenntnisse aus dem KiK-Projekt exemplarisch verdeutlichen.
 
Der figurationstheoretische Ansatz, der dem Projekt zugrunde liegt, geht davon aus, dass verschiedene Akteure mit ihren je spezifischen Relevanzrahmen und kommunikativen Praktiken voneinander abhängig und miteinander verflochten sind. Für die Kommunikation in Krisen sind diese Akteure:
  • die staatlichen Einrichtungen für öffentliche Sicherheit und Gesundheit,
  • Expert:innen aus Wissenschaft und Forschung (Evidenz),
  • gruppenspezifische Interessensvertretungen,
  • Vertreter:innen der öffentlichen Kommunikation (z. B. Journalist:innen) sowie
  • die zivilgesellschaftlichen Individuen (Lebenswelt).
Im hier genannten Beispiel der 2G-Option steht der Akteur Öffentliche Gesundheit und Sicherheit im Vordergrund.
 
Widersprüchliche Kommunikationsziele
Die Analyse der Ziele, die sich Public-Health-Akteure, also staatliche (Regierungs-)Institutionen, für eine gelungene, nach außen gerichtete Krisenkommunikation gesetzt haben, zeigt, dass Ziele wie „gesundheitsbezogenes Verhalten propagieren“, „Akzeptanz krisenbezogener politischer Maßnahmen verbessern“ oder „Vertrauen in staatliche Akteure erhöhen“ in sich sehr facettenreich und im Zusammenhang zum Teil widersprüchlich sind.
 
Dies zeigt sich auch bei der 2G-Option: So mag die 2G-Entscheidung einerseits das Vertrauen des geimpften Teils der Bevölkerung in die staatlichen Akteure erhöht haben, da ihnen zustehende Freiheiten wiederhergestellt werden. Andererseits scheint das Vertrauen spezifischer Interessengruppen wie Gastronom:innen oder Kulturschaffenden durch diese kurzfristige Entscheidung, die die Verantwortung den Betroffenen überträgt, jedoch abgenommen zu haben. Die Akzeptanz der Maßnahme ist somit differenziert zu betrachten und bewerten.
 
Dass die 2G-Option auch als Impfanreiz dienen soll, also gesundheitsbezogenes Verhalten propagiert werden soll, ist kein Geheimnis. Doch scheinen dabei soziale Folgen, wie die Angst vor Jobverlust oder vor sozialer Ausgrenzung bei Nicht-Impfung, nicht mitgedacht zu werden.
 
Zudem ist durch die Uneinheitlichkeit der Regelungen auf Länderebene ein Ausweichen in die anliegenden Bundesländer möglich – was weder den gesundheitlichen Zielen noch den erhofften wirtschaftlichen Vorteilen der Maßnahme dient.
 
Legitimierung der Maßnahmen
Für die Analyse der Kommunikation in Krisen haben wir besonders Aspekten, die nicht explizit kommuniziert werden, besondere Beachtung geschenkt – wie zum Beispiel neuen Maßnahmen, in denen Prioritätenverschiebungen zum Ausdruck kommen. Hierbei interessierte uns vor allem der Legitimierungsprozess: Welche Argumente liegen einer Entscheidung zugrunde, wie wird sie gerechtfertigt?
 
Die Legitimation bewegt sich, wie im KiK-Projekt herausgearbeitet wurde, zwischen Expertise und (z. B. moralischen/ethischen) Abwägungen – das heißt, dass entweder wissenschaftliche Erkenntnisse oder ethische Argumente genutzt werden, um Maßnahmen als notwendig und angemessen darzustellen.
 
Die Einführung der 2G-Option wurde einerseits mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zur geringeren Virusübertragung und zur geringeren Wahrscheinlichkeit eines schweren Krankheitsverlaufes bei Geimpften begründet. Andererseits wurde moralisch argumentiert und auf die verändertere Situation verwiesen, die eine Fortführung der Grundrechtseinschränkung von Geimpften nicht mehr rechtfertige. Dass solche moralischen Rechtfertigungen durchaus ambivalent sein können, zeigt sich am 2G-Beispiel sehr gut, da viele Menschen hierdurch eine „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ fürchten. Die gleiche Maßnahme wird also einmal als Freiheitsgewinn und einmal als Freiheitseinschränkung gedeutet.

Diese Problematik kommt auch in einer der fünf „bereichsübergreifenden Herausforderungen“ zum Ausdruck, die im Projekt herausgearbeitet wurden. Damit gemeint sind Herausforderungen, die nicht nur von den Bereichen Public Health, Öffentlichkeit, Evidenz, Interessensgruppen und Zivilgesellschaft jeweils alleine bewältigt werden müssen. Vielmehr müssen sie über diese Bereiche hinweg in der Krise als gesamtgesellschaftliche Aufgaben betrachtet werden, wobei die Aufgabe ist, sich zwischen den Polen Eigenverantwortung und Regulierung zu positionieren. Wie viel Verantwortung soll den Bürger:innen zugesprochen werden und ab wann ist staatliches Eingreifen sinnvoll? Es gilt auszuloten, wo die Grenzen liegen, die eine Regulierung notwendig machen, bzw. zu entscheiden, ab wann diese nicht mehr als angemessen gilt.
 
Mit der Einführung der 2G-Option zieht sich der Staat zurück und legt den Fokus wieder verstärkt auf die Eigenverantwortung der Bürger*innen. Ob man nun am gesellschaftlichen Leben in Form von Theaterbesuchen oder Ähnlichem teilnehmen will, ist jetzt wieder vom eigenem Willen abhängig – ebenso, ob man sich dem noch immer bestehenden Risiko einer Infektion aussetzen möchte und ob man sich impfen lässt, um diese Möglichkeiten wahrnehmen zu können. Da es sich bei der 2G-Option jedoch zunächst noch um eine Option handelt, entsteht eine unübersichtliche Situation, in der unklar ist, wo diese Option angeboten wird und wo nicht – zumal sich das stetig ändern kann.
 
Neben der Perspektive der Bürger:innen gilt es jedoch auch, die Dimension der Betroffenheit der Kulturtreibenden und der Gastronom:innen zu betrachten. Diese fühlen sich in ihrer neuen Rolle der Verantwortung vermehrt nicht wohl, weil sie in vielen Fällen nicht frei und eigenverantwortlich entscheiden können, sondern von wirtschaftlichen Faktoren getrieben werden oder von Faktoren wie der Impfquote ihrer Beschäftigten abhängig sind.
 
Eine Empfehlung, die wir im KiK-Projektteam erarbeitet haben, lautet, nicht reflexartig in ein lineares Kommunikationsmodell zu verfallen, sondern dialogische Formen der Kommunikation zu fördern. Die Art und Weise, wie die Entscheidung über die 2G-Option getroffen wurde, sowie die unzufriedenen Stimmen, die sich dazu geäußert haben, unterstreichen die Wichtigkeit dieser Empfehlung:
 
Ein Austausch mit den betroffenen Betreiber:innen und ein Einbezug von deren Expertise, Wünschen und Sorgen hätte eine angemessenere und praktikablere Gestaltung der 2G-Option ermöglicht und die Betroffenen nicht ohne Vorwarnung vor vollendete Tatsachen gestellt. Eine Zusammenarbeit von Entscheidungsträger:innen und Vertreter:innen der betroffenen Gewerbe hätte die Akzeptanz der Maßnahme gefördert und eine frühzeitigere Planung gestattet.
 
Für künftige Entscheidungen könnte sich – so das Projektteam – die Einrichtung bereichsübergreifender Kommunikationsstrukturen als sinnvoll erweisen. So könnte der Austausch institutionalisiert, das Verständnis füreinander gestärkt und die Möglichkeit geschaffen werden, differenziertere Entscheidungen zu treffen.
 
Projektbericht:
Broer, Irene; Hasebrink, Uwe; Lampert, Claudia; Schröder, Hermann-Dieter; Wagner, Hans-Ulrich; unter Mitarbeit von Corinna Endreß (2021): Kommunikation in Krisen. Hamburg: Hans-Bredow-Institut, September 2021 (Arbeitspapiere des Hans-Bredow-Instituts | Projektergebnisse Nr. 59) DOI: https://doi.org/10.21241/ssoar.74139
 
Quellen:
https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/coronavirus/Corona-Viel-los-am-ersten-2G-Wochenende-in-Hamburg,corona8656.html
https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/coronavirus/Hamburg-Wie-Gastronomie-und-Kultur-2G-umsetzen-wollen,corona8628.html
https://www.deutschlandfunk.de/corona-impfungen-koennen-geimpfte-andere-menschen-weiter.709.de.html?dram:article_id=495266
https://www.mopo.de/hamburg/politik/zwei-klassen-gesellschaft-2g-entfacht-neuen-zoff-in-hamburg

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